© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

In der Kantine des kürzlich noch weltweit begehrtesten Clubs Berghain herrscht eine Bombenstimmung. Dies demonstrieren Verleger Helge Malchow (Kiepenheuer & Witsch) und Literaturkritiker Hubert Winkels (Deutschlandfunk), die als politisch-korrekte Diskurswächter sichtlich bemüht sind, den Sprengsatz zu entschärfen, den der neue Roman „Alles Lüge“ des Popliteraten Joachim Lottmann birgt, und der – wie bestellt – zur aktuellen Debatte um ein Islamgesetz erscheint. Kurioserweise zitiert der Titel den popmusikalischen Klassiker Rio Reisers aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als Lottmann parallel mit seinem literarischen Debüt „Mai, Juni, Juli“ reüssierte, der als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt.


Das Prinzip der Ironie als zentraler Mechanismus dieser Literaturgattung muß denn auch herhalten, um die bestechenden Reflexionen und Analogien der vermeintlich „fiktiven“ Romanfigur Johannes Lohmer als Spinnerei des Erzählers abzutun, die – so Malchows und Winkels Mantra – nichts mit dem Autor Lottmann zu tun habe. Unvermittelt finde ich mich im „Bla-Bla-Land“ wieder, einer Blase der politischen Korrektheit, und frage mich, nun schon angesteckt von der Fiktion: Wo eigentlich steckt der „Blasenbalg“? Freilich bestätigen mir Kenner Lottmanns später, daß diese Kritik am Islam als „dem zweiten Faschismus“ die reale Ansicht des Autors sei und die Romanhandlung unverkennbar dessen Lebenswirklichkeit widerspiegele.


Dort wird die kriselnde Ehe des den Islam hassenden Schriftstellers Lohmer und dessen linksliberaler, als Journalistin arbeitender Frau Harriet geschildert, die im Dauerreizklima von Willkommenskultur, Flüchtlingskrise, islamischem Terror und aufkommendem Rechtspopulismus zu zerbrechen droht. Um dies zu verhindern, verhält sich Lohmer immer wieder opportunistisch. Ebenso agiert der Autor auf dem Podium, was die Realität und erst recht den Titel des Romans – auf wohl nicht unfreiwillige – Weise bestätigt. So verteidigt sich Lottmann mit der Behauptung, er sei zwar gegen den Islam, aber für den Moslem, und fügt in nicht zu überbietendem Opportunismus an: „Ich bin für die Flüchtlinge, und ich möchte daß so viele wie möglich kommen.“ Das ist nichts anderes als „Unterwerfung“ – nicht zufällig widmet Lottmann den Roman explizit Michel Houellebecq. Folgerichtig schließt der Autor mit seinem Abgesang über die „Kultur der berghainaffinen Metrosexuellen ... kein Mensch hat sie verteidigt. Kein Intellektueller hat den Vorgang überhaupt bemerkt.“