© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Multikulturelle Werbung
Oportunistisches Anpassen an den Zeitgeist
Claus-M. Wolfschlag

Werbung hat eine das Wirtschaftssystem stabilisierende Funktion, da sie den Warenkreislauf und Konsum fördert. Doch sie präsentiert auch gesellschaftliche Leitbilder. Da die Großkonzerne ihre Waren längst global verkaufen, liegt es beispielsweise nahe, daß die Werbung Bilder einer „multikulturellen“ Welt reproduziert. Der Ikea-Katalog 2017 ist ein Paradebeispiel dafür. Weltweit wurden 211 Millionen Exemplare in 48 Ländern verteilt, obwohl das Heft mit dem Motto „Entworfen für dich, nicht für irgendwen“ eine persönliche Käuferansprache suggeriert. 

Bereits auf dem Cover 

ist ein orientalisch wirkender Hipster mit langem Bart gemeinsam mit einer Blondine und einer Schwarzen am Eßtisch zu sehen. Im Katalog entdeckt man zudem eine weiße Frau mit zwei dunkelhäutigen Kindern, mit Afro-Look-Frisuren, eine weiße Familie mit asiatischem Kind sowie ein gemischtes Paar. Werbeclips mit antirassistischem Engagement können allerdings auch nach hinten losgehen. So schaltete die Flugvergleichsplattform Momondo vergangenes Jahr einen in den sozialen Medien viel geteilten Clip für „Weltoffenheit“. Menschen unterschiedlicher Nationen unterziehen sich darin einem Gentest und stellen fest, mehr als angenommen miteinander gemein zu haben. Doch der Clip wurde mittlerweile selbst als rassistisch  und unwissenschaftlich kritisiert, weil er Nationen Gene zuordne und auch das Judentum genetisch definiere.

Solche Vorwürfe schlugen unlängst auch einer Waschmittelwerbung der 

chinesischen Firma Qiaobi entgegen. Darin steckt eine Chinesin einen Schwarzen in eine Waschmaschine, die dieser zur Freude der Frau als hellhäutiger Chinese wieder verläßt. Die Aufregung im Internet war groß, und die antirassistische Heuchelei wurde auf diese Weise gut enttarnt. 

Der Clip war nämlich nur das Remake einer vor einigen Jahren entwickelten Werbung für das italienische Produkt Coloreria. Allein die Rollen waren verändert worden. Eine weiße Frau steckte in dem italienischen Clip ihren schwächlichen, weißen Mann in eine Waschmaschine, der nach dem Waschgang ein muskulöser, junger Schwarzer entstieg. Rassismus-Vorwürfe waren damals keine zu hören.

Dem „Rassismus“-Vorwurf entspricht auf der Geschlechter-Ebene der „Sexismus“-Vorwurf. Diesen konnte nun das Modehaus Saint Laurent erleben, das von der französischen Werbeaufsicht gedrängt wurde, seine als „frauenverachtend“ bewertete Werbung mit langbeinigen Models in aufreizenden Posen zurückzuziehen. Die Prüderie geht paradoxerweise mit einer freizügigen Veränderung der Familien- und Paarbeziehungsbilder in der Werbung einher. Klassische Rollenmuster, die die Reklame der Nachkriegszeit dominierten, werden aufgebrochen. Familienväter absolvieren Hausarbeit, Memmen rufen nach Mutti (JF 52/16), harte Geschäftsfrauen zeigen Ehrgeiz. 

In dem Deutsche-Bahn-Clip „Der Fan“ läuft ein schwules Fußballer-Pärchen Hand in Hand den Bahnsteig entlang. Im Werbespot für die „Family Card“ der Bahn werden neben teils skurrilen Familien auch ein lesbisches Paar mit Kind und eine Gruppe Transvestiten gezeigt. Viele Rewe-Supermärkte zieren mittlerweile Regenbogenfahnen, und in Lautsprecherdurchsagen wird zur Toleranz gegenüber Homosexualität aufgerufen. 

Viele Rewe-Supermärkte zieren Regenbogenfahnen

Die sich für die Durchsetzung von Gender-Ideologie in der Werbung einsetzende Organisation „Pinkstinks“ begrüßte unlängst, daß seit 2015 beim Werbe-Festival in Cannes der Preis des „Glass Lion“ für „progressive Werbung, die Geschlechtsstereotype hinterfragt“, verliehen wird. 

Der Transport politischer Botschaften funktioniert allerdings nur dort, wo die Empfänger die gezeigten Inhalte bereits weitgehend anerkannt haben. Werbung ist also auch ein Indikator dafür, was in einer Gesellschaft geduldet oder tabuisiert wird. Trotz aller avantgardistischen Selbstdarstellung sind Werber real ökonomisch denkende Opportunisten. Erwarten sie nennenswerte Widerstände, die Kunden vom Kauf einer Marke abschrecken würden, weicht Globalismus rasch der kulturellen Rücksichtnahme.

Auch deshalb entwickeln „Global Player“ kulturspezifische Produkte, wie unlängst das Luxus-Modelabel Dolce & Gabbana mit einer Kollektion von Designer-Kopftüchern für muslimische Käuferinnen. Und Ikea legte in Israel sogar einen Prospekt auf, der Rücksicht auf streng orthodoxe Juden nimmt. Auf den Bildern sind gar keine Frauen und Mädchen zu sehen, in Familiensituationen sind nur Männer abgebildet.