© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ablenkungsmanöver
Paul Rosen

Politiker verteilen gerne das Fell des Bären lange vor Beginn der Jagd. So hat der Bundestagswahlkampf noch nicht einmal begonnen, und trotzdem blühen in Berlin die Spekulationen über mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl. Die jüngste Variante ist eine Debatte über ein sozialliberales Bündnis, das es im wiedervereinigten Deutschland noch gar nicht, in der alten Bundesrepublik bis zur Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler 1982 gab. 

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, ernüchtert vom fehlenden Schulz-Effekt bei der Saarland-Wahl, brachte die neue Debatte über ein rot-gelbes Bündnis ins Rollen, indem er das historische Vorbild unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt zu loben begann: „Die sozialliberale Koalition auf Bundesebene hat Deutschland ganz sicher moderner und demokratischer gemacht.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprang bei und bescheinigte dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, „nicht länger am Rockzipfel von Frau Merkel zu hängen und Brücken zu anderen Parteien aufzubauen“. 

In der Tat ist ein Regierungseintritt der FDP in Nordrhein-Westfalen in eine von der SPD geführte Landesregierung vorstellbar. Dort hat Lindner ein Heimspiel. Auf Bundesebene sieht die Sache schon anders aus. Die FDP liegt in Umfragen knapp über der Fünfprozenthürde, so daß selbst eine durch einen Schulz-Effekt auf 33 Prozent verstärkte SPD mit der FDP keine Mehrheit zusammen bekäme. Man müßte die Grünen mit ins Boot holen, aber so wie Lindner sich mit den grünen Ministern Sylvia Lührmann (Bildung) und Johannes Remmel (Umwelt) anlegt, würde der Vorwurf der „Umfallerpartei“ schnell wieder erhoben. 

Wahrscheinlicher als das Werben um Lindners FDP ist ein sozialdemokratisches Ablenkungsmanöver. Die Aussicht auf ein rot-rot-grünes Bündnis hat die Wähler im Saarland in Scharen zur CDU getrieben, die unerwartet einen Stimmenzuwachs verbuchen konnte. Seitdem wird in der SPD nicht mehr über das Thema Rot-Rot-Grün gesprochen, zumal dies bei den Wahlen im Mai auch kaum eine praktische Bedeutung hat. Ist die Linkspartei wegen ihrer Symbolfigur Oskar Lafontaine im Saarland traditionell stark, so fiel sie in NRW 2012 aus dem Landtag, und in Schleswig-Holstein ist sie nicht vertreten. Jüngste Umfragen sehen die Linkspartei in beiden Landtagen möglicherweise eher draußen, so daß Schulz und die SPD auf die Debatte über Rot-Rot-Grün gut verzichten können. 

Auf Bundesebene sieht das anders aus. Selbst wenn es ein „Stimmenwunder“ und eine sozialliberale Koalition geben würde, hätte dieses Bündnis keinen Rückhalt im Bundesrat, der allen wichtigen Gesetzen zustimmen muß. Die FDP hat bis auf Rheinland-Pfalz keine Verankerung in Landesregierungen. SPD, Grüne und Linke verfügen dagegen schon heute über eine Mehrheit im Bundesrat. Würden sie am 24. September eine Mehrheit im Bundestag bekommen, könnten sie durchregieren. Die Wettbewerber nehmen die SPD-Debatte nicht ernst: „Die SPD will nur irgendwie an die Macht, egal mit welchem Partner“, spottet Gerda Hasselfeldt von der CSU.