© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

„Dann können wir ja gleich aufgeben“
Konservative in der Union: Der „Berliner Kreis“ hat den neugegründeten Dachverband der Merkel-kritischen Basis zum Meinungsaustausch eingeladen
Christian Vollradt

Konservativer soll sie werden, die Union. Dieses Ziel ist dem vor zwei Wochen gegründeten Freiheitlich-Konservativen Aufbruch (FKA) und dem als parlamentarischer Arm der Konservativen in der CDU geltenden Berliner Kreis gemeinsam. Vertreter beider Organisationen – Teilnehmern zufolge etwa 80 Personen – trafen sich am vergangenen Wochenende. Mit dabei waren der ehemalige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz, der sächsische CDU-Fraktionschef Frank Kupfer, der CDU-Fraktionsvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Siegfried Borgwardt, sowie mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete; mit von der Partie auch Vertreter des Wirtschaftsrats, der Mittelstandsvereinigung, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, der Jungen Union, der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung sowie der Christdemokraten für das Leben. Künftig wollen Berliner Kreis und FKA die Kräfte bündeln und sich gemeinsam für „notwendige programmatische Veränderungen“ innerhalb der Union einsetzen. Zwei mit Mitgliedern aus beiden Gruppierungen besetzte Kommissionen sollen einen Beitrag „für eine erfolgreiche Bundestagswahl leisten.“ 

Aufgabe des Konservatismus heute sei es, „auf der Grundlage christlicher Orientierung Botschaften zu senden zur Bedeutung von Verantwortung und Freiheit, zur Leitkultur, zur sozialen Marktwirtschaft, zur inneren und äußeren Sicherheit, zur Familie, zum Lebensschutz, zum Umwelt- und Naturschutz und zum Patriotismus“, gibt der Leiter des Berliner Kreises, der ehemalige hessische Kultus- und Justizminister Christean Wagner dabei als Marschroute aus. 

Mit den Journalisten Roland Tichy und Birgit Kelle sowie dem Historiker Andreas Rödder holte sich der Berliner Kreis Referenten von außen, deren Vorträge auch der Konkretisierung eigener inhaltlicher Positionen dienen sollen. Kelle kritisiert vor allem das Fehlen einer eigenen CDU-Familienpolitik. Nach der Regierungsübernahme 2005 habe die Union hier weitestgehend die Positionen von Rot-Grün fortgeführt. Tichy sieht vor allem im Kapern, Besetzen und Umdeuten von Begriffen durch die radikale Linke eine Gefahr für die Gesellschaft. Diese habe Mitte der achtziger Jahre den Klassenkampf aufgegeben und durch einen Kampf für Minderheitengruppen ersetzt, der darauf abziele, Andersdenkende mit dem Bannstrahl des Rassismus zu belegen. 

Während Kelle und Tichy viel Zustimmung erhalten, stoßen Rödders Positionen auf Kritik. Der Geschichtsprofessor aus Mainz – Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung und vor der Landtagswahl 2016 im Schattenkabinett der CDU als Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur vorgesehen – definiert Konservativsein als Prozeß, „den Wandel zu verzögern, bis er harmlos geworden ist“, und beruft sich dabei auf den ehemaligen britischen Premierminister Robert Lord Salisbury. Das könne auch ein Weg für die Union sein, meint Rödder.

„Die Linke hat unsere Republik radikal verändert. Bin ich dann etwa reaktionär, wenn ich diese Veränderung rückgängig machen will?“ sollen sich einige Teilnehmer kritisch über die Definition Rödders geäußert haben. Auch seine Position, man könne den sozialen Wandel ohnehin nicht mehr aufhalten, wird von zahlreichen Unionskonservativen als zu defensiv betrachtet. „Dann können wir ja gleich aufgeben“, habe mancher mit Unverständnis reagiert. Dessen Vorschlag, als Antwort auf Gender Mainstreaming ein Family Mainstreaming einzufordern, erfreut sich hingegen allgemeiner Zustimmung. Durch die Zusammenarbeit mit dem FKA erhält der oft als politischer Papiertiger verspottete Berliner Kreis gerade zur rechten Zeit neuen Auftrieb. Schließlich steht die Gruppe vor einem enormen personellen Aderlaß: Erika Steinbach fehlt, da sie aus Partei und Fraktion austrat, Wolfgang Bosbach zieht sich aus der Politik zurück, ebenso Thomas Dörflinger. Philipp Lengsfeld hat es nicht auf einen sicheren Listenplatz in Berlin geschafft, und Sylvia Pantel aus Düsseldorf (Listenplatz 45) brauchte im Herbst ein gutes Unionsergebnis.