© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Im Kreuz geduldig, im Glauben stark
Als assyrischer Christ vor Verfolgung aus Syrien nach Deutschland geflohen: Der Konflikt in seiner Heimat holt Abrahim hier wieder ein
Hinrich Rohbohm

Das silberfarbene Kreuz trägt er stets um seinen Hals. Noch immer. Trotz aller Gefahren, die er dafür in Kauf nehmen mußte und noch immer nehmen muß. Abrahim S. (Name geändert) ist bekennender Christ. Und er ist aus Syrien geflohen. Dabei wollte der 23 Jahre alte Assyrer, der Jura studierte, eigentlich bleiben. Trotz der Bomben, trotz der Raketen, die in seiner Heimatstadt Aleppo täglich detonierten. Er weiß: Gehen Leute wie er, geht sein Glaube mit ihm. Fort aus dem Nahen Osten, fort aus der Wiege des Christentums.

Hunderttausende christliche Syrer sind bereits weggegangen. Aus Furcht, Islamisten in die Hände zu fallen. Aus Furcht vor Bomben, Terror, Enthauptungen und Entführungen. Und aus Furcht davor, in Assads Armee als Kanonenfutter zu enden.

Im November 2015 gerät auch Abrahims Leben völlig aus den Fugen. Eine Rakete der islamistischen Rebellen trifft sein Haus, verwandelt es innerhalb von Sekunden in ein Trümmerfeld. Die Fenster, der Hauseingang, das Wohnzimmer – alles zerstört. Abrahim kommt bei Freunden unter. Doch nur wenige Wochen später folgt für ihn der nächste Schock. Das Assad-Regime will ihn zum Kriegsdienst zwangsverpflichten.

„Für Christen ist das oftmals das sichere Todesurteil“, erklärt Sabri Alkan, Vizechef der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO), die sich für den Schutz und die Erhaltung von Interessen und Minderheitenrechten des assyrischen Volkes einsetzt und deren deutsches Büro in Wiesbaden sitzt. Das Regime schicke die Christen an jenen Frontabschnitten zum Einsatz, wo sich Assads Soldaten selbst im Hintergrund halten, weil sie sie als zu gefährlich erachten.

Bis vor einigen Jahren hatte Alkan an seine Landsleute appelliert, in Syrien zu bleiben. Verbunden mit der Hoffnung, daß sich eines Tages die Demokratie durchsetzen werde. Die Hoffnung ist inzwischen zu einem Alptraum geworden. In El-Habor und in Tel-Tamer in Nordsyrien habe es im November 2015 gezielte Angriffe gegeben, um Christen zu vertreiben. Wenige Monate später sei ein Angriff auf den Ort al-Karjatain in Westsyrien erfolgt, 66 Christen dabei verschleppt worden.

Am vergangenen Sonntag trifft der Terror die koptischen Christen Ägyptens besonders grausam und perfide. Um die 2.000 Gläubige hatten sich in der St.-Georgs-Kirche im nordägyptischen Tanta zur Palmsonntagsliturgie eingefunden. Mitten im Gebet sprengt sich ein islamistischer Selbstmordattentäter in die Luft, reißt 27 Menschen mit in den Tod. Ebenso in Alexandria, wo wenige Stunden später ein weiterer Dschihadist vor der Markuskirche, einem der ältesten christlichen Gotteshäuser der Stadt, einen Selbstmordanschlag verübt. Hätte das Oberhaupt der koptischen Kirche, Papst Tawadros II., nicht kurz zuvor die Kirche verlassen, vielleicht wäre auch er unter den Opfern gewesen. Insgesamt werden mindestens 44 Menschen getötet und weitere 120 verletzt.

Experten rechnen damit, daß sich die Zahl der etwa 20 Millionen im Nahen und Mittleren Osten lebenden Christen innerhalb von nur wenigen Jahren halbieren wird. Priester aus der Region sprechen bereits von der drohenden Gefahr eines „christenfreien“ Orients. Vor allem die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats verbreiten Furcht und Schrecken. „Wenn sie einen Ort erobert haben, kennzeichnen sie die Häuser, in denen Christen leben“, erklärt Alkan. Innerhalb von 24 Stunden müssen die „Ungläubigen“ dann den Ort verlassen. „Es sei denn, sie zahlen hohe Steuern an Isis oder konvertieren zum Islam.“ Sie müßten dann auch die von Isis vorgeschriebene Kleidung tragen, Frauen müssen sich verschleiern.

Einige würden dennoch bleiben. Sie leben im Untergrund, versuchen, möglichst unentdeckt zu bleiben. „Es gab aber auch Fälle, wo Moslems Christen beschützt und versteckt haben“, erzählt Alkan, der auch die Situation der Christen im Irak gut kennt. Als die Islamisten in die dortige Ninive-Ebene einmarschierten, einen Zufluchtsort für zahlreiche Christen, seien Tausende Frauen verschleppt worden. „Sogar ein fünf Jahre altes Mädchen war darunter“, zeigt sich Alkan entsetzt.

Allein 200.000 Christen seien in den Nordirak geflüchtet, lebten dort nahe der Stadt Erbil in schimmligen Zelten, in denen die Kinder im Winter mit nackten Füßen auf kaltem Schlamm umherliefen und das Wasser von außen ins Zelt floß. „Christen und Jesiden hatten keine Waffen“, beklagt der ADO-Vizechef. Seine Vermutung: „Isis wußte ganz genau, daß die Menschen dort sich nicht verteidigen konnten.“

Unterdessen befindet sich Abrahim S. zum Jahreswechsel 2015/16 in einer Zwickmühle. Er ist kein Anhänger Assads, ganz im Gegenteil. Dennoch soll er für ein Regime, das er ablehnt, in den Krieg ziehen. Er weiß: Wenn er geht, werden ihn die Assad-Truppen als entbehrlichen Oppositionellen einstufen, ihn verheizen und in den sicheren Tod marschieren lassen. Er muß eine Entscheidung treffen. Schnell. Den Kriegsdienst ablehnen kann er nicht. Assads Truppen würden ihn sofort inhaftieren oder gleich erschießen. Zur Gegenseite überlaufen kann er auch nicht. Dort wütet die islamistische Opposition, die Christen köpft oder sie entführt, um ein hohes Lösegeld zu erzielen. Abrahim sieht für sich nur eine Chance: Flucht. Raus aus Syrien. Wie viele andere will er nach Europa. Will in ein christliches Land. Am 7. Januar 2016 machte er sich auf den Weg.

Moslems beschimpfen      Abrahim in der Unterkunft

Eine Option, die auch für Vael als die einzig mögliche erscheint. Der 41 Jahre alte Fliesenleger stammt aus einem 23.000-Einwohner-Städtchen 27 Kilometer nordöstlich von Damaskus. Auch ihn wollten Assads Soldaten zwangsverpflichten. Doch für Vael bedeutete Flucht auch die Trennung von der Frau. „Mach es“, hatte die zu ihm gesagt angesichts der ausweglosen Situation. Vael flieht. „Früher hatten in meiner Stadt 90 Prozent Christen gelebt“, sagt er der JF. Heute habe sich ihr Anteil halbiert. Besonders die Furcht vor Entführungen sei hoch. Christen hätten deshalb einen Ortsschutz in der Stadt gebildet. „Für meinen Cousin mußten wir 10.000 Euro Lösegeld aufbringen, um ihn wieder freizubekommen. 10.000 Euro!“ erzählt der Mann, der mit Hilfe von Schleppern über die Türkei nach Griechenland gelangte und sich dann bezeichnenderweise durch Tips südosteuropäischer Grenzkontrolleure bis Deutschland durchschlug. 

Ein Jahr später verabredet sich die JF mit Abrahim S. in einem Hotel in Hessen. Noch immer trägt er das silberfarbene Kreuz. Er spricht bereits ein wenig Deutsch. Doch sein hoffnungsfrohes Bild vom christlichen Europa ist Ernüchterung gewichen. „Im Nahen Osten ist die Religionszugehörigkeit ein entscheidendes Kriterium darüber, wie man behandelt wird“, erklärt Sabri Alkan. „Wenn ein Moslem jemanden fragt: ‘Bist du Moslem?’ und der bejaht, so wird er ihn bevorzugt behandeln.“ Auf diese Weise würden die sich in der Mehrheit befindenden Moslems gegenüber Christen im Alltagsleben bei zahlreichen Gelegenheiten begünstigt. Entsprechend hoch sei daher die Erwartung der in Europa ankommenden Christen, von ihren hier lebenden Glaubensbrüdern die gleiche bessere Behandlung zu erfahren. „Daß aber in Europa der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt, ist von vielen der christlichen Flüchtlinge noch nicht verinnerlicht worden.“

„Aber selbst die ist nicht gegeben“, sagt Abrahim und erzählt von seinen Erfahrungen bei der Ankunft in Deutschland. So würden die Ausländerbehörden Christen oftmals nur eine Aufenthaltserlaubnis von einem Jahr zugestehen. „Moslems erhalten zumeist schon nach der Ankunft eine Aufenthaltserlaubnis von drei Jahren“, meint Abrahim.

Den Grund für die Ungleichbehandlung sieht er bei den Dolmetschern. „In Deutschland gibt es viel zuwenig christliche Übersetzer für meine Sprache.“ So habe auch bei seiner Flüchtlingsanhörung ein Moslem übersetzt. Als S. dabei auf die Bombardierung seines Hauses durch die Al-Nusra-Rebellen zu sprechen kommt, bricht der Dolmetscher die Übersetzung ab. „Das ist unmöglich. Das kann nicht stimmen, du lügst“, habe er ihn in seiner Landessprache angeherrscht. Der Jurist ist sich sicher: „Er hat meine Schilderung nicht richtig übersetzt, weil meine Geschichte die islamistischen Rebellen in ein schlechtes Licht gerückt hätte.“

Vorfälle wie dieser seien keine Seltenheit, bestätigt auch Sabri Alkan. „Viele christliche Flüchtlinge holt der Konflikt in ihrem Heimatland schon bei der Anhörung wieder ein, weil ihre Übersetzer Muslime sind.“ Weil der Glaube aber im Nahen Osten eine weitaus größere Rolle spiele, könne sich dieser Umstand für christliche Flüchtlinge schon in dieser Phase nachteilig auswirken, ohne daß die Behörden bei der Befragung davon überhaupt Kenntnis erhielten.

Abrahim S. lebt heute in einer Flüchtlingsunterkunft in Hessen. Wo sie sich genau befindet, möchte er nicht sagen. Aus Angst vor Repressalien. Denn als sich in dem überwiegend von Muslimen bewohnten Heim herumgesprochen hatte, daß der 23jährige ein Kreuz um den Hals trägt, begann für ihn ein regelrechtes Spießrutenlaufen. „Ungläubiger“, „Schweinefresser“, hätten sie ihn beschimpft. Von den eigenen Eltern aufgestachelt, seien Kinder von Muslimen vorgeschickt worden, um ihn zu beleidigen, erzählt er. „Mein Zimmer lasse ich immer abgeschlossen. Ich gehe morgens aus dem Haus, treffe mich mit Freunden und komme erst spät abends wieder, um diesen Leuten aus dem Weg zu gehen.“ Dabei wähle er unterschiedliche Zeiten für seine Rückkehr, damit ihm niemand auflauern könne. Er ist sich sicher: „Wenn die wüßten, wann ich komme, würden sie auf mich warten.“

Daß es für die Christen in Nahost aber auch Hoffnung gibt, wird anhand der jüngst zurückeroberten Gebiete in der irakischen Ninive-Ebene deutlich. So sind dort bereits erste Christen aus Europa zurückgekehrt, um ihre von Islamisten zerstörte Heimat wieder aufzubauen.

Foto: Beten in Ruinen: Der Bewohner eines Dorfes in der nordostsyrischen Provinz al-Hasake betet in der St.-Georgs-Kirche, die durch IS-Terroristen zerstört wurde