© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Planziel Energieautarkie
Das gewendete Sonnendorf Rettenbach im Allgäu
Klaus Abel

Rettenbach am Auerberg, ein idyllisches 830-Einwohner-Dorf im schwäbischen Landkreis Ostallgäu, wo bei klarer Sicht Schloß Neuschwanstein erkennbar ist, bekommt öfters Besuch aus Japan. Es sind aber keine Reisegruppen, die sich auf dem Weg zum Märchenschloß König Ludwigs II. verirrt haben, sondern interessierte Bürger, Politiker oder Wissenschaftler, die sehen wollen, wie ein Alltag auch dauerhaft ohne Atomstrom zu meistern ist.

Stromfressende Firmen verderben die Vorbildbilanz

Dafür bietet der auf 831 Meter Höhe gelegene staatlich anerkannte Erholungsort reichlich Anschauungsunterricht. Denn hier, so berichtet der als Wissenschaftsjournalist tätige Ingenieur Christian Rauch (Kultur und Technik, 1/17), versorge sich fast jeder Einwohner selbst mit Strom. Das hat dem Ort den Ruhm eines „Sonnendorfs“ eingetragen. Die Energiewende, meldet stolz CSU-Bürgermeister Reiner Friedl, sei in Rettenbach bereits „vollzogen“. Nur im brandenburgischen Feldheim bei Treuenbrietzen lebt man – dank eines Windparks mit 42 Turbinen sowie Biogas und Hackschnitzel, eigenem Versorgungsnetz und Batteriespeicher – noch „energieau-tarker“ als im Allgäu. Doch dieser Vorsprung erklärt sich mit dem Hinweis auf die nur 145 Einwohner Feldheims. 

Die Größe einer Gemeinde zieht nämlich die Grenzen der Energieautarkie: Größe ist in der Regel ein Indikator für die Dichte der Gewerbeansiedlung. So wohnen in der Gemeinde Morbach im Hunsrück etwa 11.000 Menschen, für deren Privathaushalte Wind- und Solarpark sowie Biogasanlagen ausreichende 30 Megawatt Leistung erzeugen. Für die ortsansässige Industrie reicht das jedoch bei weitem nicht.

Entsprechend muß man in Rettenbach, wo jedes Dach – ausgenommen aus Denkmalschutzgründen das Kirchendach – mit Photovoltaik zugepflastert ist, leicht verschämt einräumen, die komplette Energieautarkie noch nicht erreicht zu haben. Zwei stromfressende Firmen, Hersteller von Forstmaschinen und Schneepflügen, „verderben“ die Autarkiebilanz. Obwohl die Werkhallen mit Photovoltaik zugedeckt sind, reicht ihr Sonnenstrom nur für ein Drittel des Jahresbedarfs. Käme es allein auf die Privathaushalte an, erzielte das Dorf hundertprozentige Energieautarkie. Wegen der beiden Unternehmen seien es aber „nur“ 86 Prozent, so Rauch.

Ihre energiepolitische Vorreiterrolle sehen die Allgäuer dadurch nicht gefährdet. Die solle man aber nicht nur in Japan, sondern endlich auch daheim anerkennen. Würden in Bayern sämtliche Kommunen so energisch vorangehen wie Rettenbach, sei ein fast energieau-tarker Freistaat kein Traum mehr. 

Magazin Kultur & Technik (1/17): deutsches-museum.de

www.rettenbach-amauerberg.de