© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Das Fell des Bären waschen, ohne ihn naß zu machen
Grüne Frustration über „verwässerte Strategien“ der Klimarettung / Verschärft Wohlstandskapitalismus globale Ungleichheiten?
Christoph Keller

Für das links-grüne bundesrepublikanische Establishment ist „Migration“ ebensowenig ein primär „humanitäres“ wie „Umwelt“ nur ein „ökologisches“ Problem. Denn auf beiden Politikfeldern dominieren ungebrochen althergebrachte utopisch-universalistische Ideologien, unter deren Dach Zuwanderung oder Klimaschutz lediglich Instrumente zum Umbau der realexistierenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind.

Der Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber, Leiter eines Projekts zur „Entsorgung radioaktiver Abfälle aus Multi-Level-Gouvernance-Perspektive“ am Berliner Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU), hat diese Prioritäten zumindest für die linke Klimapolitik jüngst in erfreulicher Offenheit dargelegt. Geboren ist sein Artikel zum Thema „Warum sich die Klimaforschung mit harten Machtverhältnissen beschäftigen muß“ (Gaia, 1/17) aus tiefer Enttäuschung über die Pariser UN-Klimakonferenz  (COP21, JF 40/16) sowie über das zögerliche umweltpolitische Agieren der schwarz-roten Bundesregierung.

Ihr – wie auch den 194 anderen Regierungen und Unterzeichnern des Paris Agreement – wirft der 53jährige Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin letztlich nicht weniger vor als mangelnden Willen zur Abschaffung des „Wohlstandskapitalismus“ und des „neoliberalen Wirtschaftsmodells“, das für „Macht, Ausbeutung, Gewalt“ auf diesem Planeten stehe. 

Mobilisierungsprozesse gegen Klimaskeptiker?

Wer – wie Uno, EU und Bundesregierung – Klimapolitik nicht in den Dienst der revolutionären Transformation des Bestehenden stelle, könne den Weg in eine „Zukunft ohne fossile Energieträger“ allenfalls „symbolisch“ beschreiten. Was für den aus Hessen stammenden Politologen nichts anderes heißt, als Sinn und Zweck der bisherigen Anstrengungen zum Klimaschutz, allen voran die deutsche „Energiewende“, zu negieren.

Konsequent wird daher das multimedial bejubelte Pariser Klimaabkommen als „substanzlos“ abgetan, weil es weder konkrete Fahrpläne noch Maßnahmen und Sanktionen enthalte. Ähnlich bewertet der FU-Dozent den „Klimaschutzplan 2050“. Schon seine Ausarbeitung und Verabschiedung im Bundeskabinett, kurz vor der Klima-Konferenz von Marrakesch 2016, sei zum „Fiasko“ geraten. Herausgekommen sei eine „stark verwässerte Strategie“, die die notorische Politik des Stillstands widerspiegele: „In Deutschland sind die Emissionen von 902 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2014 auf 908 Millionen Tonnen 2015 angestiegen; dies in einem Land, das die Energiewende feiert und einst als Vorreiter im Klimaschutz galt“, so Brunnengräber.

Nicht einmal das UN-Klimasekretariat (UNFCCC) glaube daran, ohne die Schlachtung der heiligen Kühe „Freihandel, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, hoher Lebensstandard“, das in Paris für das Jahr 2100 gesteckte Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu deckeln, noch zu erreichen. Unter diesen Auspizien festige etablierte Klimaforschung nur die „Macht“ in den Industrieländern, die das Fell des Bären waschen will, ohne ihn naß zu machen. „Klimagerechtigkeit“ für den globalen Süden werde es daher so lange nicht geben, wie die „Strategien der Inwertsetzung von Natur“, Zugang, Kontrolle und Ausbeutung mineralischer Rohstoffe, fossiler Energieträger und agrarischer Anbauflächen unter obwaltenden „Herrschaftsverhältnissen“ stattfinde.

Wie die durch „gegenhegemoniale zivilgesellschaftliche Akteure“ zu ändern wären, darüber schweigt sich Brunnengräber, der nicht einmal gut marxistisch zu konkretisieren vermag, wer oder was überhaupt „Macht“ ist, weitgehend aus. Hingegen schwärmt er von „Kampagnen gegen Pipelines oder Besetzungen von Braunkohle-Tagebauten“ sowie „zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen“ Mobilisierungsprozessen „gegen Klimaskeptiker, die durch Donald Trump neuen Auftrieb erfahren“. Mit praktikableren Rezepten für die klimaneutrale Weltgerechtigkeit ist freilich so lange nicht zu rechnen, wie Brunnengräber sich seiner der Jahrhundertaufgabe „Atommüllentsorgung“ gewidmeten akademischen Sinekure erfreut.

„Warum sich die Klimaforschung mit harten Machtverhältnissen beschäftigen muß“, in Gaia (1/17, Seite 13 bis 15): doi.org