© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Die Frage der Führung
AfD: Vor ihrem Bundesparteitag plagen die Partei ungelöste Konflikte
Dieter Stein

Vor einer grotesken Kulisse wird sich an diesem Wochenende in Köln der Bundesparteitag der AfD abspielen. 50.000 Demonstranten, darunter mehrere tausend militante Linksextremisten, werden von einem „breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis“, wie es so schön heißt, angelockt, eine Versammlung zu behindern, die Parteien organisieren müssen, um schlicht ihren grundgesetzlich definierten demokratischen Auftrag erfüllen zu können. 

Während sich Politiker der großen Parteien und viele Medienschaffende über die offenkundigen Eingriffe in den Wahlkampf zum Referendum in der Türkei mokierten, sind die sonst so kritischen Köpfe, die Parlamentspräsidenten, Chefredakteure und Kabarettisten mucksmäuschenstill, wenn es um die gewaltsamen Attacken und die subtile konzertierte soziale Ächtung der in den meisten Umfragen stärksten Oppositionspartei in Deutschland geht – der AfD.

Seit Wochen verdichten sich die Nachrichten über linksextreme Attacken auf Veranstaltungsorte, Bedrohungen gegen Wirte, Farbanschläge auf Wohnhäuser von Mitgliedern und angezündete Autos von AfD-Spitzenpolitikern. Hier sucht man den zivilgesellschaftlichen „Aufstand der Anständigen“ vergebens. 

Bei allen Schlagzeilen über die AfD, die in den vergangenen Wochen wieder von innerparteilichen Querelen beherrscht werden, wird schnell vergessen, daß die junge Partei seit Monaten im Schnitt höhere Zustimmungswerte genießt als jeweils Linke, Grüne oder FDP. 

 Seit ein Bündnis von liberalen und konservativen Aktivisten die AfD im Frühjahr 2013 gegen die abenteuerliche Euro-Rettungspolitik der Regierung Merkel ins Leben rief, schrieb sie unstreitig Parteiengeschichte. Ein halbes Jahr nach ihrer Gründung verpaßte sie mit 4,7 Prozent nur knapp den Einzug in den Bundestag – danach nahm sie bei allen Landtagswahlen und einer Europawahl immer souverän die Fünfprozenthürde, häufig zweistellig. In elf von 16 Landtagen ist die AfD inzwischen vertreten. Umfragen sahen sie zur Jahreswende im Bund um 15 Prozent – zuletzt noch bei knapp zehn Prozent.

Eigentlich müßte die AfD auf einer Welle der Euphorie reiten. Sie schaffte, was zuvor dutzendmal mißlang: die Etablierung einer Partei rechts der Mitte, eine von Union und FDP in einer jahrzehntelangen Linksdrift geöffnete Repräsentationslücke zu schließen. Scheunentorgroß ist diese Lücke, zuletzt vergrößert noch einmal von Angela Merkel durch die Öffnung der Grenzen im Zuge der Asylkrise 2015.

Die Themen für die AfD liegen auf der Straße, die Krise und die Schwäche der politischen Gegner treiben ihr eigentlich die Wähler zu. Mehr direkte Demokratie, Schutz der Meinungsfreiheit gegen Zensurversuche des Staates mit Facebook-Sondergesetzen, nationalstaatliche Souveränität und Subsidiarität statt Ausbau eines Brüsseler Superstaates, Rückkehr zur Kontrolle nationaler Außengrenzen und eine restriktive Einwanderungspolitik, Entlastung von Familien mit Kindern, Ausstieg aus der Euro-Rettung durch Vergemeinschaftung von Schulden usw. 

Doch anstatt sich konzentriert auf den Bundestagswahlkampf vorzubereiten, ein schlüssiges Wahlprogramm vorzulegen und die Regierung vor sich herzutreiben, taumelt die Partei in wiederkehrende kräftezehrende Macht- und Richtungskämpfe, die das Bild von einer unberechenbaren Chaostruppe erzeugen und folgerichtig auch die Umfragewerte sinken lassen.

Woran liegt das? Der Charme der AfD war ursprünglich, keine „Ein-Mann-Partei“ zu sein, sondern über zahlreiche profilierte Persönlichkeiten und eine heterogene Ausrichtung zu verfügen. Wie die Grünen versuchte sich die AfD basisdemokratisch und mit „Mehrfachspitzen“ von den straff gelenkten sogenannten „Altparteien“ abzusetzen. Der Charme dieser Teams war aber auch gleichzeitig ihre Schwäche. Wo es keine klare Führung gibt, ist das Führungschaos programmiert.

Die AfD hat nach der Abtrennung des Lucke-Flügels 2015 nicht die Konsolidierung geschafft. Die Doppelspitze von Frauke Petry und Jörg Meuthen scheiterte offensichtlich früh, der Bundesvorstand zersplitterte in Fraktionen, und es gelang bis jetzt keiner Führungspersönlichkeit  überzeugend, eine tragfähige Geschlossenheit herzustellen. 

Kurz vor dem Bundesparteitag in Köln, bei dem es „eigentlich nur“ um das Bundeswahlprogramm und einen Spitzenkandidaten oder ein Spitzenteam gehen sollte, brachen deshalb die ungelösten Konflikte erneut auf. Mehrere Lager haben sich gebildet, treffen sich in Zirkeln, wetzen die Messer. Bei einer Partei, die potentiell mit 60 bis 80 Bundestagsabgeordneten in den Bundestag einziehen könnte, geht es um lukrative Mandate und riesige finanzielle Mittel. Hasardeure und Glücksritter schwärmen um die Honigtöpfe der Partei. Ein brutaler Kampf um Einfluß und Ressourcen, Macht und Geld tobt, der vergessen läßt, daß es einmal auch um Inhalte und eine politische Wende gehen sollte. 

Die Kernfrage muß die Partei selbst beantworten, und die Antwort kann ihr kein Berater oder Journalist abnehmen: Wie sie tragfähig eine glaubwürdige kooperative Führung organisiert, die ein breites Themen- und Personenspektrum abbildet, intelligente kritische Köpfe konstruktiv einbindet und verhindert, daß die Partei sich lähmt, zersplittert und am Schluß von Machtkämpfen geschwächt in die Hände von radikaleren Kräften fällt, die als lachende Dritte die AfD dann endgültig ins politische Aus führen werden.