© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

Im Zeitalter von Fake News erscheint nichts verdienstvoller, als den „Träger des Preises für ehrlichen Journalismus“ anzukündigen – so präsentiert Simon Akstinat von der Jüdischen Rundschau den israelisch-amerikanischen Autor Tuvia Tenenbom, Preisträger der von seiner Zeitung verliehenen Auszeichnung. Dieser stellt sein neues Buch „Allein unter Flüchtlingen“ vor, das bei Suhrkamp erschienen ist. Im Roten Salon der sich mit revolutionärer Attitüde schmückenden Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wird der Publikationsort als der „intellektuellste“ aller deutschen Verlage bezeichnet, weshalb Akstinat selbst kurz gelacht habe, als er von dort angerufen wurde. Diese Erheiterung erinnert mich an eine Begebenheit jüngst im Café: Als der attraktive junge Kellner die an ihm interessierte Café-Besucherin nach ihrem Job fragt und diese nur „Suhrkamp“ entgegnet, fragt der verständnislos guckende Kellner: „Was ist’n das?“ Unwillkürlich muß ich auflachen, woraufhin mir die Verlagsmitarbeiterin einen vorwurfsvollen Blick zuwirft.


Akstinat fährt derweil fort. Tenenboms Buch könne auch „als Wahlempfehlung gelten“. Im vollbesetzten Saal, der sonst Leute anziehe, die in erster Linie eine andere Meinung vertreten, scheint kein wirklicher Dissens erkennbar. Aber die Leute trauten sich nicht mehr zu sprechen. Wie gut also, daß Tenenbom Deutschland auch hier auf die Couch holt. Zunächst liest Schauspieler Mex Schlüpfer aus dem Kapitel „Wenn Sie mich namentlich zitieren, verklage ich Sie“. Dabei zeigen die Gespräche, daß Deutschland von Angst getrieben agiert: Wirklich alle glauben zu wissen, Deutschland öffne seine Grenzen wegen der „Geschichte“. Zuerst aber öffnet Tenenbom seine Cola und klärt auf: Wenn er hier an der Bar um eine Coca-Cola light bitte, erhalte er eine Fritz Cola – weil erstere für Kapitalismus stehe, „Fritz“ aber für den Sozialismus.


Die Deutschen, so Tenenbom, wollten zeigen, daß sie besser sind als im Dritten Reich, oft gar, daß sie besser als alle anderen seien. Als er Merkels Spruch „Wir schaffen das“ zitiert, ruft eine tapfere Besucherin: „Ich nicht.“ Ratlos ist Tenenbom über das Stillhalten der Deutschen angesichts der getöteten Landsleute, deren Mörder erst durch Merkels Politik nach Deutschland kommen konnten. Das Fazit seiner Großreportage gebiert im Publikum ein leicht verhaltenes – oder doch gequältes – Gelächter: „It’s hard to be a Jew, but it’s harder to be a German.“ Die nächsten Male liest Tuvia Tenenbom in Magdeburg (2. Mai) und Leipzig (3. Mai). Hingehen!