© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Ländersache
Immer schön locker bleiben
Ronald Berthold

Die alljährlichen linksextremistisch motivierten Ausschreitungen am 1. Mai in Berlin gelten zunehmend als Folklore. Selbst die einst bürgerliche Berliner Morgenpost scheint ihren Frieden mit brennenden Autos, Barrikaden, verletzten Polizisten, Stein- und Molotow-Cocktail-Würfen am Tag der Arbeit gemacht zu haben. Sie schreibt zum bevorstehenden Ereignis, die Krawalle gehörten genauso zu Berlin „wie die Siegessäule, das Brandenburger Tor oder der Alexanderplatz“.

Wenn der Mob Feuer legt, Fenster „entglast“ und Beamte verletzt, dann ist das für manchen Politiker und Journalisten offenbar ein neues Wahrzeichen der Stadt. In Zeiten, in denen bereits der Tagesspiegel der „lieben Antifa“ ein „Danke“ für ihren Kampf übermittelte, scheint die Hauptstadtpresse schon ein wenig stolz auf die militante linke Szene.

Am Tag der Arbeit wird sich auch dieses Jahr wieder eine „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ in Bewegung setzen. Die Krawalle jähren sich zum 30. Mal. 1987 gab es die ersten Ausschreitungen. Zwei Jahre später – unter der ersten rot-grünen Regierung von Walter Momper – erlebte das damalige West-Berlin einen vorläufigen Höhepunkt: Die Gewalttäter verletzten 346 Beamte. Es dauerte 22 Jahre, bis die Szene diesen traurigen Rekord brechen konnte. 2009, genau zwei Jahrzehnte später, erwischte es 479 Polizisten – ein Warnzeichen für das diesjährige „Jubiläum“.

Daß es in Kreuzberg Anfang der Woche ruhig bleibt, mögen daher einige nicht so recht glauben. Dennoch gilt wie in den Jahren zuvor eine Deeskalationsstrategie. „Befehl Nummer eins“ an die aus dem gesamten Bundesgebiet eingesetzten Polizisten lautet: „Die Polizei ist neutraler Garant der Versammlungsfreiheit. Diese Aufgabe erfüllt sie durch versammlungsfreundliches Verhalten und gelassenes Auftreten.“

Die Beamten sollen also immer schön locker bleiben. Gegen Gewalt dürfen sie sich dennoch wehren; sie sollen allerdings nur „im Rahmen der vorbestimmten Konzepte“ vorgehen. Und da steht Deeskalation an erster Stelle. Es ist die erste „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ unter einem rot-rot-grünen Senat. Viele Beamte fürchten fehlenden politischen Rückhalt, sollte ihr Einsatz nach dem Geschmack der Stadtführung zu hart ausfallen.

Einsatzführer halten es nicht für unwahrscheinlich, daß die Gewalttäter den Montag als „Probelauf“ für die Proteste gegen den G-20-Gipfel im Juli in Hamburg nutzen. Für dieses Ereignis mobilisiert die linksradikale Szene bereits. Andererseits könne es aber gerade deswegen, so hoffen die Sicherheitsbehörden, ruhiger verlaufen als befürchtet. Auch in Hamburg haben in den vergangenen Jahren am 1. Mai immer wieder linke Gruppen randaliert.

Daher sei es durchaus möglich, daß sich die Szene auf die Hansestadt konzentriere und Berlin relativ glimpflich davonkomme. Was das allerdings tatsächlich bedeutet, zeigt ein Blick auf den Tag der Arbeit im vergangenen Jahr. Über den Aufmarsch der sogenannten Autonomen in ihrem Schwarzen Block hieß es 2016 übereinstimmend von Politik und Medien, dieser sei „weitgehend friedlich“ verlaufen. Zumindest 59 Polizisten mögen das anders gesehen haben: Sie trugen bei ihrem damaligen Einsatz trotz aufwendiger Schutzausrüstung Verletzungen davon, die ihnen die Gewalttäter beigebracht hatten.