© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Schakale ersetzen die Löwen
Klassiker wiedergelesen: Giuseppe Tomasi di Lampedusas nachgelassener Roman „Il Gattopardo“
Michael Klonovsky

Die Verfilmung großer Literatur geht so regelmäßig schief, daß oft nur die Frage bleibt, wie nachhaltig der Film das Buch überlagert und dessen Aura ramponiert hat. Bei Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Il Gattopardo“ ließ sich dieses betrübliche Phänomen exemplarisch studieren. Luchino Viscontis Verfilmung unter dem Titel „Der Leopard“ (1963) verdient allenfalls für das Casting der drei Hauptfiguren Beifall – Burt Lancaster als Fürst Salina, Alain Delon als dessen Neffe Tancredi und Claudia Cardinale als Angelica –, ansonsten aber verwandelte der Regisseur das tragische Epos über den Niedergang des sizilianischen Adels in einen sentimentalen Kostümfilm, in dem ständig getanzt und zuweilen ein bißchen geweint wird. Vom grandiosen Stoizismus des Originals, dieser Mischung aus Grandezza, Melancholie und Untröstlichkeit, vermittelt der Film wenig.

Sizilien hielt Einzug in die Weltliteratur

Dieser Roman, der einzige, den Giuseppe Tomasi di Lampedusa geschrieben hat, ist allerdings auch ein Werk höchsten Karats. Der polyglotte Adlige, der in dem Buch die Geschichte seiner eigenen Familie verarbeitet, besaß einen erlesenen literarischen Geschmack. Mitte der 1920er Jahre veröffentlichte er in einer Literaturzeitschrift Beiträge zur französischen Literatur. Er begann Ende 1954 mit der Arbeit am „Gattopardo“. In seinem Todesjahr 1957 – Lampedusa starb am 23. Juli an Lungenkrebs – verschickte er das Manuskript an einen Lektor beim Verlag Einaudi. Der lehnte das Buch mit der Bemerkung ab, es sei zu essayistisch. Lampedusa erhielt die Antwort auf dem Sterbebett, sagte „Schade!“ und verstarb kurze Zeit später. Ein zweites Manuskript fand seinen Weg zu Giangiacomo Feltrinelli, 1958 erschien der Roman und wurde ein überwältigender Erfolg. Die größte Insel des Mittelmeers hielt Einzug in die Weltliteratur.

„Il Gattopardo“ ist der Sizilienroman schlechthin, dazu ein Gesellschaftsroman, ein Epochenwechselroman, ein Abschiedsroman. Er schildert das Risorgimento aus der Perspektive des Fürsten Don Fabrizio Salina. Die Handlung, wenn man so will – große Romane liefern ja keine Handlung, sondern den lebendigen Abdruck einer Welt –, beginnt im Frühjahr 1860. Der Guerillaführer Giuseppe Garibaldi ist mit einem Heer von Freiwilligen auf Sizilien gelandet, um die Bourbonen zu vertreiben und für die Einheit Italiens zu kämpfen. Einen sizilianischen Adligen wie Don Fabrizio kümmern die Herrscherwechsel normalerweise wenig. Bislang hat sich sein Geschlecht – wie die gesamte Bevölkerung der Insel – mit den neuen Machthabern stets zu arrangieren gewußt. Doch diesmal ist es anders. Ein neuer Menschenschlag betritt die Bühne. Er wird eine ganze Klasse verdrängen, die über Jahrhunderte die Geschicke des Landes lenkte, und sich an ihre Stelle setzen, ohne die Lücke ganz ausfüllen zu können, die jene Klasse hinterläßt. Von dieser Lücke vor allem handelt der Roman.

Fürst Salina ist eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, Vater von sieben Kindern, kultiviert, scharfsinnig, ein Hüne mit astronomischen Neigungen, erotischen Vorlieben und einer Raubkatze auf dem Wappen. Das Exemplar jenes neuen Menschenschlages, mit dem sich der Fürst konfrontiert sieht, ist Don Calogero Sedára, ein kalter Geschäftsmann und korrupter Verwalter, der mit ganz unsizilianischem Eifer – „Von jeder Erdscholle stieg fast greifbar ein Verlangen nach Schönheit auf, das von der Trägheit rasch ermattet wurde“ – seinen Reichtum mehrt.

Amerikaner vernichteten den Palast der Lampedusa

Als sich die Familie Salina wie jedes Jahr für drei Monate auf den Landsitz nach Donnafugata zurückzieht, ist Don Calogero dort zum Bürgermeister und Oberhaupt der Liberalen aufgestiegen. Nach alter Sitte lädt der Fürst die lokalen Notabeln zum Diner. Aus Rücksicht auf die Gäste, die keinen besitzen, verzichtet er auf den Gesellschaftsanzug. Doch dann platzt der 16jährige Sohn Paolo in den Salon und ruft, er habe Don Calogero ankommen sehen, und er sei „im Frack“. Die folgende Szene beschreibt die Ankunft aus der Sicht des Fürsten:

„Jetzt aber, besonders empfänglich für Vorahnungen und Symbole, sah er in jenem weißen Krawättchen und in den zwei schwarzen Rockschößen, die die Treppe seines Hauses hinaufkamen, die Revolution selbst. Nicht nur war er, der Fürst, nicht mehr der alleinige Herr von Donnafugata, sondern er war überdies gezwungen, im Gehrock einen Gast willkommen zu heißen, der, mit Fug und Recht, im Gesellschaftsanzug erschien. (...) Dessen Anblick milderte jedoch seinen Kummer. Als politische Demonstration zwar vorzüglich geeignet, war Don Calogeros Frack jedoch als schneiderische Leistung eindeutig eine Katastrophe. Das Tuch war von feinster Qualität, die Machart nach der neuesten Mode, der Schnitt aber schlicht monströs.“

Fürst Salina wird später für seinen Neffen Tancredi, den er mehr liebt als seine leiblichen Kinder, um die Hand der bildschönen Tochter Don Calogeros werben und beide Häuser so miteinander verbinden, eine Botschaft, welche der Heraufkömmling freudig mit nach Hause nimmt, „während, von oben herab, die ragende Gestalt des Fürsten dem kleiner werdenden Häufchen aus List, schlecht sitzenden Kleidern, Gold und Ignoranz nachschaute, das jetzt fast zur Familie gehörte“. Natürlich wird sich der Fürst den Geschäftssinn des neuen Familienmitglieds zunutze machen, ihm sogar ein paar Manieren beibringen. Und er wird den Parvenü sogar statt seiner selbst für den Senat empfehlen, mit Worten von göttlicher Heiterkeit: „Er hat mehr Verdienste als ich für einen Sitz im Parlament; die Familie, habe ich mir sagen lassen, ist alt oder sie wird es einmal sein; er hat vielleicht nicht das, was Sie Prestige nennen, aber dafür hat er Macht; (...) Illusionen hat er, glaube ich, kaum mehr als ich, aber er ist ziemlich flink, um sich nötigenfalls welche zu schaffen.“

Am Ende zieht der Fürst die Bilanz: „Wir waren die Pardel, die Löwen; die uns ersetzen, werden die Schakälchen sein, die Hyänen; und wir allesamt, Pardel, Schakale und Schafe, werden uns weiterhin für das Salz der Erde halten.“ 

Auf Sizilien, unter einem Himmel, aus dem es die Hälfte des Jahres Feuer regnet, ist ein Tag mehr wie jeder andere als anderswo. Der 10. Juli 1943 war eine Ausnahme. Es begann die Operation „Husky“, die Amerikaner bereiteten ihre Landung auf Sizilien vor. Eine Bombe aus Pittsburgh traf den Palast der Lampedusa in Palermo und vernichtete in Sekunden alles, was diese Familie in Jahrhunderten aufgebaut und geliebt hatte. Giuseppe Tomasi Caro, Fürst von Lampedusa, Herzog von Palma, hat versichert, er schreibe nur, um mit seiner Traurigkeit fertig zu werden.