© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Bei den modernen Großflughäfen stellt sich immer die Frage, ob so die realisierte Utopie der globalisierten Welt aussieht. Verglaste Riesenröhren, auf wohlige Temperaturen gebracht, keine Dunkelheit, kein Schnee, kein Regen, kein Wind, so daß alle Welt kurzärmelig und kurzbehost herumläuft, eine Menschenmenge, bunt, aus aller Herren Länder, die einen in traditioneller, die anderen in kosmopolitischer Tracht, möglichst bequem und funktional, Luxusgüter für die einen, Fast Food in allen Variationen für die anderen und eine Heerschar dienstbarer Geister, die möglichst unbemerkt den Dreck wegräumt; keine Stände- oder Kastengesellschaft im traditionellen Sinn, sondern eine Art gedämpfter Egalitarismus, in dem die Schlechtweggekommenen nicht an Revolte denken, nur sehnsüchtig auf den Komfort starren, den sie sich niemals werden leisten können, oder den Blick wieder auf die kleinen oder großen Bildschirme lenken, die sie unterhalten.

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Bezeichnend: Ostergrüße nur von katholischer und orthodoxer Seite.

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Der Turnschuh als übliche Fußbekleidung erschwert die einst mögliche Charaktertaxierung qua Halbschuhzustand.

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Bildungsbericht in loser Folge CIII:

Der neue Vorschlag, die Bestnoteninflation dadurch einzudämmen, daß man die Angabe der Bewertung mit dem Durchschnitt kombiniert, kann dem Mißstand kaum abhelfen. Zumindest ist denjenigen, die die Idee aufgebracht haben, nicht klar, wie sehr der Durchschnitt schon jetzt verzerrt ist und zwar nicht nur wegen der Weigerung der Lehrenden, angemessene Noten zu erteilen, sondern auch wegen des subtilen oder brutalen Drucks, der von den Verantwortlichen ausgeübt wird, um die Anpassung an den bestmöglichen Durchschnitt zu erreichen.

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Faschismus A: Das Vorhandensein einer Gruft des italienischen „Führers“ hat für den deutschen Besucher in jedem Fall etwas Irritierendes. Aber dann kommt man in die Krypta und bemerkt die im romanischen Katholizismus übliche Verkramtheit der Andachtsstätte und eine gewisse Unsicherheit, wer denn eigentlich – die Zahl der Kruzifixe hin oder her – verehrt werden soll. Oberhalb der Kniebank vor dem Sarkophag liegt aufgeschlagen das Kondolenzbuch samt billigem Plastikkugelschreiber für die, die sich verewigen möchten. An der Seite sperrt ein Gitter die kleine Kapelle ab, angefüllt mit einem Sammelsurium aus Leidensmann, Padre-Pio-Figur, Fotografien des Duce, Ultras-Schal und Flagge der faschistischen Sozialrepublik auf dem Altartisch. Dazu passen irgendwie die beiden Herren in mittlerem Alter, die hereinkommen, sich kurz etwas umsehen, miteinander tuscheln, dann plötzlich Haltung annehmen und den Römischen Gruß entbieten, bevor sie ganz entspannt den Raum wieder verlassen.

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Daß der große gescheiterte Reformprozeß der europäischen Universitäten den Namen Bolognas trägt, hat etwas Bezeichnendes. Die Stadt macht selbst für italienische Verhältnisse einen außergewöhnlich verkommenen Eindruck.

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Faschismus B oder Eine andere Art Querfront: Die Wahlliste der Faschisten in Ferrara verzeichnete 1921 sieben Faschisten, einen Nationalisten, einen Radikalen, sieben Parteilose, aber auch fünf Liberale.

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„Die Macht der radikalen Partei liegt in der Tatsache, daß sie einen großen Einfluß auf die Klasse hat, die die öffentliche Meinung macht – die Journalisten, die Literaten, die Professoren und die Intellektuellen.“ (Lord Salisbury, 1830–1903)

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Die Stadt Ferrara erhielt 1987 für ihren Einsatz bei der Befreiung Italiens die Silberne Militärmedaille in Anbetracht ihres „edlen Beispiels der Opferbereitschaft, der Selbstlosigkeit und des demokratischen Glaubens“.

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Der Bundesinnenminister warnt vor der „Verrohung“ der Gesellschaft. Die Zahl der Gewaltakte wachse, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Straftaten, die gegen Sicherheitskräfte oder Helfer am Unfallort begangen werden. Das sei fatal, und es richte sich der Appell an alle, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Bevor man aber auf die mahnenden Worte der Obrigkeit hört, würde man gern Genaueres wissen: Inwiefern besteht ein Zusammenhang mit einer immer bunter werdenden Gesellschaft? Welche Rolle spielen aus anderen Weltgegenden eingeschleppte Praktiken? Wie ist die jahrzehntelange systematische Denunziation der Autorität in diesem Zusammenhang zu beurteilen? Und vor allem: Handelt es sich um eine paradoxe Reaktion, hervorgerufen durch die allgemeine Ächtung von Gewalt?

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Vertrauensbeweis: Personal an der Sicherheitsschleuse des Flughafens; fünf Personen, eine ohne, vier mit Migrationserfahrung, offenbar einer arabischen.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 12. Mai in der JF-Ausgabe 20/17.