© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Die Venus erscheint zersaust
Grenzübergreifende Kooperation: Richard Wagners „Tannhäuser“ am Theater Vorpommern
Sebastian Hennig

In Vorpommern webt der Geist der Frühromantik. Philipp Otto Runge erblickte in Wolgast und in Greifswald Caspar David Friedrich das Licht der Welt. Ludwig Gotthard Kosegarten predigte den Heringsfischern auf den Klippen bei Vitt auf Rügen im Anblick des Meeres Gottes Allmacht. Ernst Moritz Arndt schildert in seinen „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ bilderreich den eigentümlichen Menschenschlag zwischen Bodden und See.  In den Straßen von Stralsund fiel 1809 der aus Sachsen stammende Ferdinand von Schill. Und noch Theodor Fontane verlebte von 1827 bis 1832 in Swinemünde seine schönsten Kindheitstage.

Möglicherweise war dieser mit Licht und Luft der Landschaft unlösbar verbundene Geist ausschlaggebend dafür, daß sich das Theater Vorpommern im Richard-Wagner-Jahr 2013 für die Inszenierung der romantischsten seiner Opern entschieden hatte. „Lohengrin“ wurde in Zusammenarbeit mit der Stettiner Oper auch im dortigen Schloß der Herzöge von Pommern aufgeführt (JF 3/14). In der Opera na Zamku hatte am 31. März dieses Jahres nun auch noch „Tannhäuser“ Premiere, nachdem die Inszenierung schon an den Spielstätten in Stralsund (Premiere am 26. November 2016) und Greifswald (Premiere am 27. Januar 2017) gezeigt wurde.

Die Bühne durch eine Wand mit den Türen abzuschließen ist eine aktuelle Marotte der Bühnenbildner, die derzeit von Haus zu Haus geistert. Regisseur Horst Kupich und sein Bühnen- und Kostümbildner Christopher Melching gewähren sonst den Sängern ein freundliches Umfeld. Durch einen gewundenen Tunnel, der wie ein Geburtskanal oder die Vision des Übertritts aus einem Nahtod-Erlebnis wirkt, treten Tannhäuser (Michael Baba) und Venus (Anne-Theresa Møller) auf und ab. Davor ragt eine weiße Stele in die Höhe, halb wie eine Klinge, halb wie ein Phallus gestaltet. Die Tänzer im hautengen Dreß markieren die Wollust als ekstatisch-kontrollierten Traum. Paarweise bilden sie das Tier mit dem doppelten Rücken.

Møller verfügt über eine kräftige Stimme, die allerdings nicht sehr wandlungsfähig ist, eher zum Schrillen neigt und damit zuweilen etwas eintönig wirkt. Die norwegische Sopranistin Kristi Anna Isene dagegen läßt als Elisabeth nichts zu wünschen übrig. Vor allem aber das Philharmonische Orchester Vorpommern unter seinem Generalmusikdirektor Golo Berg ragt als ein Leuchtturm von spätromantischer Musikpracht weit über jede provinzielle Kunstausübung hervor. Würde nicht das Blech zu Beginn etwas knarzen, man hätte meinen können, in Berlin, Wien oder München zu sein. Landgraf Hermann (Andrey Valiguras) wird von der Regie in den Rollstuhl genötigt, von wo er aber sich wahrhaft fürstlich vernehmen läßt. 

Golo Berg zügelt zu Elisabeths zarter Klage die Musiker aufs äußerste und läßt das Orchester dann wieder mit Elementarkraft ausrollen. Zur Urteilsverkündung über Tannhäusers sündenbeladenes Haupt darf sich der sieche Landgraf kurz aus dem Rollstuhl emporheben. Das Vorspiel zum dritten Akt treibt noch einmal die Hornisten an ihre Grenzen. Weit wohler lassen sich die Flöten und das Holz vernehmen. Bis zu ihrem letzten Ton anmutig und klangschön verscheidet Elisabeth.

Während der Romerzählung entspinnt sich ein gestischer Ringkampf mit Wolfram. Die Venus erscheint zerzaust, wie eine aufgelöste Schnapsdrossel. Mit der halb ausgetrunkenen Pulle gestikuliert sie wild und tritt zuletzt an das Tischlein des abgeirrten Minnesängers, nimmt die Reiseschreibmaschine unter den Arm. Den Papierstapel schleudert sie in die Höhe. Die Sänger des rasch hervortretenden Opernchores lesen die herabgeregneten Blätter auf und singen von ihnen die Kunde des Stabwunders von Rom. Der Künstler ist hier das, wenn auch zerbrochene, Gefäß der Gnade. Die Sänger knüllen die Blätter zuletzt zusammen und werfen sie von sich.

Geben und Nehmen ist in dieser deutsch-polnischen Koproduktion recht ungleich verteilt. Eigentlich ist es eher ein deutsches Gastspiel in Polen. Denn der dortige Beitrag an der Produktion beschränkt sich auf die Verstärkung des Chors und die Herstellung in den Werkstätten. Es bleibt ungeklärt, ob die roten Anzüge und weißen Hemden bei den Chorsängern eine gezügelte Leidenschaft symbolisieren oder ob damit die polnischen Nationalfarben in Szene gesetzt werden sollen. Der rotweiße Hoheitsanspruch über die alte Kulturmetropole und Berliner Hafenstadt Stettin kann letztlich nicht ganz unangefochten bleiben.

Stadttheater sollen 2018 fusionieren

Von den insgesamt elf Aufführungen finden dann auch nur drei in Stettin statt. Damit schrumpft das großpommersche Ereignis zu einer kalkulierten Prestige-Veranstaltung europäischer Völkerverständigung. Unter Umständen haben Fördergelder aus Brüssel die von den Städten Stralsund, Greifswald und Putbus getragene Theater-Vorpommern-GmbH etwas entlastet. Anders wäre ein solches Unternehmen wohl nicht zu realisieren gewesen.

Gerade wird dort um den gewerkschaftlichen Flächentarif für die Mitarbeiter verhandelt, dessen konsequente Durchsetzung die Insolvenz der Gesellschaft nach sich zöge. Es wird erwogen, die traditionsreichen Stadttheater der Hansestädte 2018 mit den Bühnen von Neubrandenburg und Neustrelitz zu einem „Staatstheater Nordost“ zu fusionieren. Hundert Jahre nach der Abdankung der Landesfürsten als Schrittmacher der Hochkultur und Herausforderer auch des bürgerlichen Wettbewerbs käme das dem Eingeständnis gleich, daß Republik und Demokraten kein eigenes tragfähiges Verhältnis zu den Künsten herzustellen in der Lage waren.

Die letzte „Tannhäuser“-Vorstellung in dieser Spielzeit findet am 7. Mai im Großen Haus in Stralsund, Olof-Palme-Platz 6, um 18 Uhr statt. Kartentelefon: 0 38 31/ 26 46 124 

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