© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Wer nicht aufpaßt, verliert
Das Maibaumstellen und -stehlen ist in weiten Teilen Süddeutschlands und Österreichs noch lebendige Tradition
Verena Inauen

Sie werden sorgsam ausgewählt, von Hand „geschält“ und mit vielen bunten Bändern geschmückt. Von der Vorbereitung bis zum Aufstellen durchlaufen die Maibäume ein regelrechtes Zeremoniell. Das Bewachen und die Feier am 1. Mai gelten vor allem in Österreich, aber auch in weiten Teilen Süddeutschlands wie Bayern, Franken, Baden oder Schwaben als hohes Traditionsgut und werden von ebensoviel Ernst wie Heiterkeit begleitet. 

Immer noch nicht restlos geklärt ist allerdings der Ursprung des Brauchtums. Während einerseits ein germanischer Ursprung zur Verehrung von Waldgottheiten angegeben wird, verweisen andere Quellen auf ein christliches Symbol, das inmitten des Dorfplatzes prangen sollte. 

Welche Erklärung heute richtig ist, interessiert die vielen, vor allem jungen Männer kaum noch. Sie sind allerdings mit Feuereifer bei der Sache, wenn es gilt, den blanken Baumstamm in ihrem Heimatort zu schmücken und feierlich aufzustellen. Mit noch mehr Enthusiasmus wird der mühevoll in die Höhe gerichtete Baum dann in der Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai bewacht; in einer Runde um ein Feuer oder im örtlichen Feuerwehrhaus. Egal wo, eine Menge Gerstensaft und heitere Trinklieder sind immer dabei – sowie ein festes Regelwerk für das Stehlen des Maibaumes. Weil nämlich vor allem in ländlichen Gegenden nahezu jede Gemeinde ihren eigenen Baum hat, spielen sich die Junggesellen der unterschiedlichen Dörfer untereinander oft einen Streich und schleichen sich in die Nachbarsortschaft. 

Ausgerüstet mit einer Handsäge und einem zumeist recht beträchtlichen Alkoholspiegel, versuchen sie möglichst lautlos den Maibaum zu fällen und davonzutragen. Werden sie von den Bewachern erwischt, müssen sie sich mit Schimpf und Schande vertreiben lassen: Der Maibaum ist gerettet. Zumindest bis wenig später die nächsten Burschen es vielleicht geschickter anstellen. Dann muß das gute Stück Holz mit mehreren Kisten Bier ausgelöst werden, damit die Festgemeinde am nächsten Tag nicht um einen leeren Baumplatz herumtanzen muß.

Nach der feierlichen Eröffnung durch das Gemeindeoberhaupt gilt es dann, den blanken Stamm zu erklimmen und eines der bunten Bänder an der Spitze abzureißen. In waghalsigen Kletteraktionen versuchen wieder allen voran die Männer der zumeist in Trachtenkleidern anwesenden Damenwelt zu gefallen. Manch einer nimmt vor lauter Übermut gleich den ganzen am Ende befestigten Kranz mit und überreicht ihn seiner Liebsten. Ihm ist als Sieger nicht nur eine beträchtliche Menge Bier sicher, sondern auch das Anführen des Maibaumstehlens im darauffolgenden Jahr. 

Die Beteiligten nehmen die Streiche mit Humor

Mit Dämmerungsanbruch des 1. Mai ist der Spuck von nächtlich herumgetragenen Bäumen vorbei, jeder weitere Streich gilt als grobe Verletzung des Brauchtumskodex. So wie auch unerlaubte Hilfsmittel zu bitterbösen Streitigkeiten führen können, wie etwa eine Gerichtsverhandlung im östlichen Österreich zeigt. 

Ein junger Mann machte sich dort gar nicht erst die Mühe, seine Freunde zu mobilisieren, sondern marschierte kurzerhand des Nachts auf einen Dorfplatz und schnitt den Baum mit einer Motorsäge an. Die Wache haltende Dorfjugend erstattete daraufhin eine Anzeige, die von der zuständigen Richterin in einem salomonischen Urteil fallengelassen wurde. Sie forderte den mutmaßlichen Dieb dazu auf, den Betroffenen eine Kiste Bier zu spendieren und den Disput beizulegen. 

Glimpflich ging auch der Ärger um einen dreimal angesägten Maibaum in einer Ortschaft an der Donau aus. Vor mittlerweile 40 Jahren sägte ein Mann den Baum an drei Stellen an und sorgte für Wutausbrüche bei den Feuerwehrmitgliedern, die den Baum am folgenden Tag aufstellen sollten, wobei dieser aber in drei Teile zerfiel. Erst vor kurzem meldete sich der Täter nach Jahrzehnten im Radio und gestand seinen damaligen Lausbubenstreich. Heute können alle Beteiligten über den schlechten Scherz lachen. 

Ebenso wie eine Gemeinde in Ober­österreich, die das Stehlen ihres Heiligtums in der Nacht wohl verpaßte und am darauffolgenden Tag ihren Maibaum in zwei Hälften geschnitten vorfand. Humor ist bei diesem Brauchtum unabkömmlich und darum ist es in diesem Ort Tradition geworden, zwei Maibäume oder eben einen zweigeteilten aufzustellen. Sogar der Bürgermeister nimmt es mit Heiterkeit, denn das ist Brauchtum und das macht unser Leben erst unterhaltsam.