© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Knapp daneben
Herausforderung des Wohlfahrtsstaates
Karl Heinzen

Eigentumsdelikte sind nicht nur für die Opfer lästig. Die Polizei hat ebenso unter ihnen zu leiden. Eigentlich sollte sie auch in solchen Fällen eifrig ermitteln. In der Praxis fehlen ihr dazu jedoch die Ressourcen. Sie muß sich auf Wichtigeres konzentrieren, und die Aufklärungsquote ist daher marginal. Ihre Aufgabe erschöpft sich darin, Einbruchsdiebstähle und vergleichbare Bagatellen offiziell zu bestätigen, damit Versicherungsleistungen in Anspruch genommen werden können. Die Bürger haben sich längst daran gewöhnt, daß sie von der Polizei nicht mehr zu erwarten haben. Sie wissen, daß dies der Preis einer offenen Gesellschaft ist und sie selbst für ihren Schutz sorgen müssen.

Als eine willkommene Abwechslung dürfte es daher die Konstanzer Polizei empfunden haben, als sie an den Osterfeiertagen alarmiert wurde, weil sich Unbekannte an geparkten Fahrzeugen zu schaffen gemacht hatten. 

Wenn sie unbedingt etwas Gutes tun wollen, sollen sie gefälligst höhere Steuern zahlen.

Diese waren ausnahmsweise nicht aufgebrochen worden. Stattdessen hatten die Täter 20- und 50-Euro-Scheine hinter die Scheibenwischer geklemmt. Der Schuldvermutung folgend, wurde das Bargeld erst einmal beschlagnahmt. Es könne schließlich nicht ausgeschlossen werden, daß es aus einer Straftat stamme. Auch wenn sich der Verdacht nicht erhärten sollte, ist Vorsicht geboten. Wer unerkannt schenkt, stellt den Wertekanon unserer Tauschgesellschaft in Frage, in der jeder, der etwas gibt, eine Gegenleistung erwarten darf – und sei es nur den Dank für seine großherzige Spende. Der anonyme Wohltäter von Konstanz beschämt nicht nur die Empfänger seiner Ostergabe, weil er ihnen die Chance nimmt, sich zu revanchieren. Er fordert auch den Wohlfahrtsstaat heraus. Woher sollte er wissen, ob die Menschen, die zufällig ihr Auto dort abgestellt hatten, wo er zur Tat schritt, tatsächlich bedürftig waren? Dies kann nur der Staat anhand nüchterner Fakten entscheiden. Bürger, die mit Willkürspenden ihre private Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit durchdrücken wollen, unterhöhlen die rechtmäßige Umverteilung. Wenn sie unbedingt etwas Gutes tun wollen, sollen sie gefälligst höhere Steuern zahlen.