© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Michael Lüders. Der Nahost-Experte ist zum Ziel der etablierten Medien geworden
Unter Beschuß
Thomas Fasbender

Was im Fall Michael Lüders überrascht, ist, daß der Arabien-Experte erst jetzt, nach seinem Auftritt Anfang April bei Anne Will, in Verruf gerät. Das verdankt sich der hiesigen Autoritätshörigkeit. Danach ist nicht ausschlaggebend, was ein Journalist schreibt, sondern wo es gedruckt wird. Lüders’ neun Jahre als Nahostkorrespondent der Zeit, von 1993 bis 2002, kamen einer Salbung gleich: Der Mann könne ja gar keine falsche Meinung haben.

Nun, 15 Jahre später, wird der Firnis brüchig; Lüders gerät unter Beschuß. Dabei gab es Kritik schon vorher. 2012 wurde ihm vorgeworfen, dem Bild von den „israelischen und amerikanischen Kriegshetzern“ anzuhängen. Nun kann man dem 1959 in Bremen geborenen Islamwissenschaftler, der arabische Literatur in Damaskus studiert und über das ägyptische Kino promoviert hat, nicht eben Ignoranz vorwerfen. Lüders ist Profi. Sein Problem ist, daß er weder das westliche Narrativ teilt noch den westlichen Unfehlbarkeitsanspruch.

Im Westen herrscht die Vorstellung von den guten Rebellen und den bösen Diktatoren, von den guten Islamisten und den bösen Islamisten. In seinem 2015 erschienenen Buch „Wer den Wind sät“ beschreibt Lüders jedoch, wie die USA lange vor dem Afghanistankrieg begannen, islamistisch motivierte Kräfte in der Region gegen die Interessen konkurrierender Mächte, damals vor allem der Sowjetunion, zu mobilisieren. Sowohl die Mudschaheddin als auch später al-Qaida waren nur als Zöglinge der CIA in der Lage, zu wachsen und politisch-militärische Dynamik zu entfalten. „Herr, die Not ist groß / Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los“ – diese Erkenntnis Goethes bezeichnet auch das Dilemma westlicher Politik. Die hat ihren ideologisch stärksten Feind seit 500 Jahren, langfristig ungleich mächtiger als die Bolschewiken nach 1917, an der eigenen Brust gefüttert.

Lüders erkennt die Gefahr: Die USA verfolgen ihre geopolitische Agenda, während Westeuropa, umgetrieben von selbstverliebter Empathie, blind ist für seine wirklichen Gegner. Der Westen gießt Öl auf die Flammen, die jedenfalls Europa zu verzehren drohen. Jede westliche Intervention der letzten 25 Jahre hat die arabische Welt nur noch chaotischer gemacht. Was treibt uns dazu, die Verhältnisse jenseits seiner Südgrenze mit aller Entschlossenheit zu destabilisieren? Es ist das moralische Überlegenheitsgefühl, der Rest aus 500 Jahren Weltherrschaft.

„Die Verbrechen Assads sind offenkundig“, schreibt Lüders in seinem jüngsten Buch „Die den Sturm ernten“, „doch ersetzt die moralische Anklage nicht die politische Analyse“. Der Satz beschreibt das Defizit der deutschen Außenpolitik. So viel Realismus aber, daß er unseren nationalen Interessen dient, steht kurzfristig wohl auch nicht zur Verfügung.