© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Humanität mit Hautgout
Salafismus: Mehrere islamische Hilfsorganisationen in Deutschland werden verdächtigt, mit Spendengeldern Terroristen zu unterstützen
Martina Meckelein

Sie führen Begriffe wie Medizin, Herz, Helfen und Not in ihrem Vereinsnamen. Sie geben vor, Witwen und Waisen zu unterstützen, Brunnen zu bohren und Lebensmittel und medizinische Hilfsgüter in Kriegsgebiete zu transportieren. Verwechslungen mit seriösen deutschen Hilfsorganisationen sind sicher nicht unbeabsichtigt. 

Um so überraschender, wenn es dann in einer Pressemitteilung der nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden heißt: „Polizei durchsucht Vereinsräume von ‘Medizin mit Herz’ in Hennef – Innenminister Jäger: Der Verein unterstützt unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe den Terror in Syrien.“ 

Spenden zweckentfremdet für Netzwerkpflege

Der Polizei-Razzia in den Räumen der islamischen Hilfsorganisation war eine jahrelange Beobachtung des Verfassungsschutzes vorausgegangen. Denn im Zuge der Kriege im Nahen Osten haben es sich brandgefährliche islamistische Unterstützer in Deutschland zur Aufgabe gemacht, Geld, Hilfsgüter und ganze Lkws zu sammeln und zu verschicken – direkt in die Kriegsgebiete. Seitdem hat der Verfassungsschutz auf einige islamische Hilfsorganisationen verstärkt ein Auge geworfen. Im Fall des Vereins „Medizin mit Herz“ ist sich Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sicher: „Nach den Erkenntnissen der Ermittler unterstützt der Verein unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe die terroristischen Aktivitäten von Jabhat al-Nusra in Syrien.“ Der Verein ist jetzt ein Fall für den Generalbundesanwalt.

Spätestens seit 2012, ungefähr zum Zeitpunkt des Ausbruchs des SyrienKonflikts und mit dem Vormarsch des IS, treibt die Mildtätigkeit mancher Muslime seltsame Blüten. So war zum Beispiel von Ermittlern festgestellt worden, daß ein in Deutschland von Spendengeldern gekaufter Rettungswagen in der syrischen Provinz Latakia nicht zum Transport von Kranken und Verletzten eingesetzt wurde. Es saßen vermummte Kämpfer mit Sturm- und Maschinengewehren in dem Fahrzeug. Bei ihnen soll es sich laut Medienberichten um sogenannte „Religionspolizisten“ gehandelt haben, die in den von den Dschihadisten besetzten Gebieten die Einhaltung der strengen Scharia-Gesetze überwachen.

„Unter Beobachtung stehen extremistische, also im salafistischen Spektrum eingebundene Organisationen“, sagt Jörg Rademacher vom Landesamt für Verfassungsschutz Nord-rhein-Westfalen der JUNGEN FREIHEIT. Im Bericht der Behörde werden drei Hilfsorganisationen benannt: „Ansaar International“, „Helfen in Not“ und „Medizin mit Herz“. Der Inlandsnachrichtendienst begründet die Beobachtung damit, daß Anhaltspunkte dafür bestünden, daß Gelder, die im Rahmen von Benefizveranstaltungen und Sammelaktionen dieser Netzwerke zusammengetragen worden seien, teilweise gezielt salafistischen oder sogar terroristischen Netzwerken in Syrien zugehen würden. Die Gelder blieben teils in Deutschland und würden zur Netzwerkpflege zweckentfremdet.

„Die drei 2015 genannten Organisationen werden auch heute noch beobachtet“, sagt Rademacher. Genaue Geldsummen will er nicht benennen, „bei solchen Spendenaktionen und Galas können allerdings erhebliche Summen zusammenkommen.“

Mehrere Konvois          nach Syrien geschickt

Die Akteure des Vereins „Medizin mit Herz“ seien der extremistisch-salafistischen Szene im Rheinland zuzuordnen, so das Ministerium. „Es geht jetzt darum, Beweismittel zu sichern und herauszufinden, woher das Geld kommt“, so Jäger. „Im Fokus der Ermittlungen des Generalbundesanwalts stehen zwei algerische Brüder (39 und 32).“ Der Jüngere sei Vorsitzender des Vereins. Der Ältere sei als bekannter salafistischer Prediger eng in die Aktivitäten des Vereins eingebunden. „Die beiden Beschuldigten organisierten mehrere Hilfskonvois nach Syrien. Die Güter wurden dort von Jahbat al-Nusra-Milizionären entgegengenommen.“

Ansaar Düsseldorf e.V. wurde 2012 gegründet und führt laut Verfassungsschutz auch die Bezeichnung Ansaar International e.V. Zu Spenden ruft der Verein im Internet auf, tritt allerdings auch an öffentlichen Informationsständen auf. Nach eigenen Angaben sammelte er rund sieben Millionen Euro an Spenden, ist seit 2014 als gemeinnützig anerkannt, hat 500 ehrenamtliche Helfer in Deutschland und etwa zehn Vollzeitmitarbeiter. Er ist unter anderem in Syrien, Somalia, Marokko, Indonesien, Tschetschenien, Libanon, Ghana, Afghanistan, Palästina und Deutschland aktiv, leistet humanitäre Hilfe für Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten, baut Schulen, Waisenhäuser Moscheen, Brunnen und Bunker. 

Laut Verfassungsschutz „wurden bei Spendensammlungen international bekannte und angesehene salafistische Prediger als besondere Attraktionen eingebunden“. Außerdem fänden sich im Internet keinerlei Distanzierungen von extremistisch-salafistischen Predigern oder deren Aussagen. Doch das sind für den Verfassungsschutz nicht die einzigen Indizien, daß Ansaar Düsseldorf e.V. somit „weiterhin als Bestandteil der extremistischen-salafistischen Szene zu werten ist“. Ansaar International betreibe in Idlib ein Facharztzentrum. Idlib sei von der Jabhat al-Nusra (JaN), einer al-Qaida-nahen dschihadistischen Gruppierung, befreit worden. Es sei, so der Verfassungsschutz, unmöglich, ohne deren Zustimmung dort Hilfeleistungen zu organisieren. Idlib ist die Rebellenhochburg im Norden Syriens, in der am 4. April bei einem Giftgas-Einsatz über 80 Menschen getötet wurden. 

Die JUNGE FREIHEIT bat Ansaar um Stellungnahme. Die Organisation gibt eine etwas merkwürdig formulierte schriftliche Antwort: „Die renommierte Zeitung Washington Post hat sich vor kurzem einmal die Arbeit gemacht und ist dem hinterher gegangen. Wie Sie lesen können, gibt es weder bei dem Verfassungsschutz noch bei der Polizei solche Anhaltspunkte – das ist frei erfunden. Anbei auch nochmal die direkte Aussage des NRW Leiters Ministerialdirigent des Verfassungsschutz ‘Freier’, der es schriftlich bestätigt daß es keinerlei solche Erkenntnisse gibt.“ Nun, die Washington Post bezieht sich auf eine anonyme Quelle des Verfassungsschutzes, die da sagt, daß es keine Beweise dafür gebe, daß Ansaar Gewalt propagiert habe, dennoch wird die „Charity“-Arbeit als extremistisch beschrieben. 

„Feste Einbindung in         die salafistische Szene“ 

Dies steht so auch im Verfassungsschutzbericht. Interessanter ist, daß sich besagter Washington Post-Artikel um Änis Ben-Hatira dreht. Der in Berlin geborene Deutsch-Tunesier stand als Fußballprofi bis Januar 2017 beim Erstligisten Darmstadt 98 unter Vertrag. Verein und Spieler trennten sich – offiziell – einvernehmlich. Zuvor war bekanntgeworden, daß Ben-Hatira sich für Ansaar International engagiert hatte und unter anderem mit Ansaar-Gründer und Konvertit Joel „Abdurahman“ Kayser nach Ghana gereist war. Die Organisation wirbt auf ihrer Seite mit dem Fußballspieler. Änis Ben-Hatira wechselte zum türkischen Erstligisten Gaziantepspor.

Der Verein „Helfen in Not“ (HiN) wurde 2013 in Neuss gegründet. Auch er gibt vor, vom Bürgerkrieg betroffene Menschen in Syrien zu unterstützen. Laut Verfassungsschutz zeigt sich allerdings eine „feste Einbindung in die salafistische Szene“. Der Verein soll derzeit „ohne festen Wohnsitz“ sein, auf Facebook sind jedoch Hilfsreisen des Vereins dokumentiert. Er kauft sauf Spendenbasis Rettungswagen und fährt sie Richtung Türkei und dann weiter ins syrische Kriegsgebiet, wo sie – laut der vom Verein veröffentlichten Videos – von der notleidenden Bevölkerung sehnsüchtig erwartet werden. 

Die auf Youtube hochgeladenen Filme von Ansaar zeigen bärtige Fahrer, die mit erhobenem Zeigefinger grüßen – eine Geste, die auch als IS-Gruß bekanntgeworden ist. Mit dem Krankenwagenkonvoi kamen allerdings nicht alle Spenden der mildtätigen Muslime in Syrien an. Noch in Deutschland wurde bei einer intensiven Polizeikontrolle ein Paket beschlagnahmt. Sein Inhalt: Kampfkleidung, Regenponcho, Stirnlampe und Koppelzeug.