© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Grüße aus London
Uncool Britannia
Derek Turner

Die April-Ausgabe des britischen Kunstmagazins Apollo fragt: „Gehört die Jugendkultur der Vergangenheit an?“ Der Verfasser, Peter Watts, kann sich noch an schwarzgekleidete „Emos“ erinnern, die Schlange standen, um vor fünfzehn Jahren eine düstere Punk-Gothic-Metal-Band zu sehen. Er fragt sich, ob sie wohl die letzte „Jugendsippe“ waren. 

Das Land, das zwischen den 1950ern und den 2010ern Teddy Boys, Mods, Rocker, Punks, Skinheads, New Romantics, Rockabillies, Psychobillies, die Gothic-Bewegung (deren Anhänger im deutschen Sprachraum auch als Grufties bezeichnet werden) und Raver hervorbrachte, scheint es aufgegeben zu haben, Subkulturen zu schaffen. 

Schuld daran, so Watts, trage teilweise das Internet. Je mehr Zeit die Jugend online verbringe, desto weniger verspüre sie das Bedürfnis, eine „Sippenästhetik“ auszuprägen, um sich in einheitlicher Kleidung oder Haartracht oder sogar körperlicher Nähe zusammenzutun. In einer atomisierten Gesellschaft sei es einfacher, sich eine Online-Identität zu erschaffen und diese zu unterhalten, als auf der Straße präsent zu sein – und es sei auch weniger gefährlich. Wir könnten uns dadurch selbst kurzerhand „überarbeiten“ und uns als deutlich individualistischer und kultivierter präsentieren, als wir es in Wirklichkeit seien. 

Welches Schräge könnte man schon machen, was es nicht schon einmal gab?

Darüber hinaus sei jede Art von Musik ständig verfügbar, was den jungen Menschen ermögliche, „Klänge durch alle Stilrichtungen und Zeitspannen zu erkunden“.Auch sei das kulturelle Angebot derart vielfältig, daß manche junge Leute sich nicht entscheiden könnten oder wollten, oder einfach keine Notwendigkeit zum Aufruhr sehen. 

Im März 2014 wies jedoch Alexis Petridis vom Guardian darauf hin, daß die bespöttelten Haul-Girls (Beute-Mädchen), die Videos über Mode oder Make-up auf ihren Blogs hochladen, eine durchaus zulässige heutige Jugendkultur seien – eben wie damals die Mods mit ihrer Lust am Einkaufen und ihrer übergenauen „Liebe zum Detail“.

Aber vielleicht gibt es ja auch noch einfachere Gründe. Es existieren heute weitaus weniger junge Menschen und dementsprechend wesentlich weniger Bedarf nach einer Jugendkultur. Überhaupt: Welches Schräge könnte man schon machen, was es nicht schon vorher gab? So fragte Charlotte Mallory in der Huffington Post: „Was bringt es, sich den halben Schädel zu rasieren, wenn es deine Mutter schon in den 70er Jahren getan hat?“