© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

May sieht sich am längeren Hebel
Brexit: Während sich die EU einig zeigt, setzt die konservative Premierministerin auf Englands Stärke und den Faktor Zeit
Josef Hämmerling

Das Pokern um den Brexit nimmt Fahrt auf. Nachdem die restlichen 27 EU-Staaten am Wochenende ihre Bedingungen für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vorgelegten, wird nun mit Spannung auf die Antwort der Briten gewartet.

 Während Premierministerin Theresa May vorhatte, die Details des Austritts und die zukünftigen Beziehungen der EU-Staaten und Großbritanniens gleichzeitig zu verhandeln, wurde dies in Brüssel kategorisch abgelehnt. Die EU unterstreicht statt dessen, daß zuerst die Rechte der 3,2 Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger und der 1,2 Millionen Briten in der EU auf der Tagesordnung stehen müßten. Hierbei soll es „gegenseitige Garantien“ geben. Die erste Phase soll bis zum Herbst abgeschlossen sein. Als nächstes müßten dann die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens geklärt werden. Bis 2020 soll der Inselstaat noch rund 60 Milliarden Euro zahlen. Als „unteilbar“ wurden die sogenannten „vier Freiheiten“ erklärt: freier Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Ein weiterer Punkt ist die Grenze zu Nordirland. All das gebe es nur als „Gesamtpaket“.

London reagierte zunächst diplomatisch: „Wir begrüßen die formelle Zustimmung der 27 Mitgliedstaaten zu den Richtlinien des Rats und freuen uns darauf, die Verhandlungen zu beginnen“, hieß es aus dem Brexit-Ministerium. May setzt auf die vorgezogenen Wahlen am 11. Juni. Die letzten Vorhersagen sehen die Konservativen klar vorne und würden damit die Verhandlungsposition Großbritanniens deutlich stärken. Viele, wie auch der frühere britische Minister für Menschenrechte, Dominic Raab, sehen die Position der 27 Rest-EU-Staaten alles andere als stark: „In jeder Verhandlung ist es so, daß die Seite, die am wenigsten zuversichtlich ist, in den Medien am lautesten tönt. Es ist ein Zeichen von Unsicherheit, nicht Stärke.“

Medienberichten zufolge setzt die britische Premierministerin unter anderem auf den Faktor Zeit. Wenn die Verhandlungen nicht bis 2020 abgeschlossen sind und beide Seiten sich nicht auf Übergangsvereinbarungen einigen können, könnte der sogenannte „harte Brexit“ die Folge sein: Dann müßte es Einzelvereinbarungen zwischen dem Vereinigten Königreich und allen anderen Staaten geben. Da Großbritannien aber nach wie vor eine der stärksten Wirtschaftsmächte auf der Welt ist, die Konjunktur entgegen den Vorhersagen der Brexit-Gegner deutlich besser als erwartet läuft und auch andere Staaten, wie etwa China, bereits jetzt bilaterale Vereinbarungen abgeschlossen haben, sieht May gute Chancen auf einen Kompromiß. 

Um zu zeigen, daß Großbritannien nicht gewillt sei, es den restlichen 27 EU-Staaten leicht zu machen, blockierte die konservative Regierung als ersten Schritt die Überprüfung des mittelfristigen EU-Haushalts. Dadurch können zum Beispiel sogenannte frische Gelder, wie etwa neue Mittel für den Africa Trust Fund, mit dem Fluchtursachen bekämpft werden sollen, bis zu einer Einigung nicht freigegeben werden. 

So besteht May, die die 60-Milliarden-Forderung kategorisch ablehnte und erklärte, hierfür gebe es keinerlei Ansprüche, dann auch auf parallele Verhandlungen zum Austritt und zu den weiteren Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. „Ich will sicherstellen, daß wir uns auf ein Handelsabkommen und unsere Rückzugsbedingungen einigen, so daß beide Seiten wissen, woran sie sind, wenn wir die EU verlassen“, erklärte die britische Premierministerin gegenüber der BBC. Sie drohte zugleich, notfalls den Verhandlungstisch zu verlassen. „Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes.“ 

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, zeigte sich dagegen nach einem Treffen mit  May entsprechend „zehnmal skeptischer“ als vor seinem Besuch. Sie lebe „in einer anderen Galaxie“.