© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Summende Hauptstadt
Flüssiges Gold: Zu Besuch bei einem Stadtimker in Berlin
Mathias Pellack

Orientierungsstörungen haben die kleinen fleißigen Bienen der Großstadt wohl nicht. Emsig sammeln sie Nektar und Pollen in den Blumen und Bäumen der Parks und Balkons von Berlin. Ganz im Gegensatz zum jungen Reporter, der von seinem Navi auf Irrwege geschickt wird, finden sie auf fast magische Weise immer zum Ziel: dem süßen Saft der Blüten. Und wieder zurück – in diesem Fall zurück zur Imkerei von Marc-Wilhelm Kohfink in Köpenick im Südosten der Hauptstadt. Der ehemalige Journalist ist Autor mehrerer Bücher über die Honigvögel – wie die Brummer in Zeiten des Barock genannt wurden – und eine Bekanntheit unter deutschen Honigproduzenten. Der frühere Chefredakteur des Handelsjournal in der Verlagsgruppe Handelsblatt betreibt eine der drei größten Imkerbetriebe in Berlin und erntet zwischen dreieinhalb und fünf Tonnen Honig im Jahr. 

Heute nimmt er mich mit zu einer Rundtour, um seine in der ganzen Stadt verteilten Bienenkästen zu überprüfen. Diese breite Streuung ist möglich, da das Stadtimkergeschäft eh nicht zur Massenproduktion taugt. Sinn des Unternehmens ist ohnehin, neben dem wirtschaftlichen Auskommen auch das persönliche Glück zu finden, denn er wisse aus eigener Erfahrung: „Selbstständige sind immer noch die Zufriedensten.“

Wobei Kohfink, wie wohl die meisten landwirtschaftlichen Erzeuger, momentan eher unzufrieden ist, wie auch seiner Miene zu entnehmen ist, wenn er einige nach dem Winter leere Bienenstöcke begutachtet. Grund dafür ist die ungünstige Wetterlage und die dadurch entstehenden Verluste. Durch die lange Kälte seien die Bienen sehr geschwächt, und zusätzlich seien durch den jüngsten Frosteinbruch viele Robinien im Austrieb erfroren, sagt der Honigbauer. Dabei komme es für den Imker gerade jetzt im Frühjahr auf die sogenannte Scheinakazie an, da sie zu den frühblühenden Pflanzen gehört und die sogenannte „Frühtracht“ trägt. Die kleinen Summer können sich hier endlich wieder selbst ernähren, müssen also nicht mehr wie im Winter zugefüttert werden und liefern den beliebten Akazienhonig.

Der lange Winter hat den Bienenvölkern zugesetzt

Im Anschluß an diese Lehrstunde geht es weiter in den Berliner Nordosten nach Pankow, wo vier starke Völker warten – keine Verluste. Im übrigen sei die Stadt und mit ihr der Honig viel gesünder für Biene und Mensch, denn zum einen sei es im Schnitt wärmer und zum anderen sei die pflanzliche Artenvielfalt viel größer. Auf dem Land fänden die Insekten oft nur Monokulturen vor, die zudem häufig durch Pestizide belastet seien. Jüngst forderten deshalb Umweltschützer von Bundesumweltminister Christian Schmidt, die zugesicherten umfassenden Schutzmaßnahmen für bestäubende Insekten endlich umzusetzen. „Wird der Artenverlust bei den Insekten nicht gestoppt, gefährdet dies nicht nur die biologische Vielfalt, sondern auch die Nahrungsmittelproduktion“, sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland Hubert Weiger. Laut einer Studie aus Nordrhein-Westfalen ist seit dem Einsatz von Neonicotinoiden (hochwirksame Insektizide) der Insektenbestand um 80 Prozent zurückgegangen (JF 17/17). 

Obwohl Kohfink in seinem Schutzanzug in einem Pankower Vorgarten großzügig Waben aus den Bienenstöcken schneidet und keine zwei Meter daneben auf dem Gehweg eine Frau mit Kind vorbeiläuft, sind die gestreiften Stachelträger äußerst zahm. Die gehaltene Kärntner Biene ist weniger aggressiv als die ursprünglich nördlich der Alpen verbreitete Bienenrasse und daher besonders geeignet für die Stadtimkerei. 

Weiter geht es nach Kreuzberg auf das Dach eines Hotels. Hier stehen weitere zwölf Beuten, so der Fachausdruck für die vom Imker bereitgestellte Bienenbehausung. Leider sind acht davon leer. Deren Völker haben es nicht über den Winter geschafft. „Im Normalfall muß man mit einem Verlust von 25 bis 30 Prozent rechnen.“ 

Die immer selbe Prozedur folgt: den Stock öffnen, Bienen mit Rauch besänftigen und die Drohnenbrut – die Waben mit dem männlichen, nur der Fortpflanzung dienenden Nachwuchs – herausschneiden. Diesmal läßt mich der Imker eine Fingerspitze des flüssigen Goldes kosten – Honig vom Winter, der sehr intensiv schmeckt. Überhaupt fragten Interessenten häufig, welcher Honig denn der beste sei. „Das ist Geschmackssache und auch von der Region abhängig.“ Die Berliner kauften gern Lindenhonig.