© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Ein Schultheiss zur Oetker-Pizza
Biermarkt: Die Vielfalt der Gerstensaftprodukte wächst / Exportgeschäft gleicht schwache Inlandsnachfrage aus
Mathias Pellack

Zum 175. Geburtstag der Schultheiss-Brauerei gibt es 1.750 streng limitierte Drei-Liter-Flaschen des Pilsners sowie „Sondergläser und Bierdeckel, damit unsere Wirte das Jubiläum mit ihren Gästen feiern können“, verspricht Wolfhard Buß, Geschäftsführer der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei. Die Gruppe BerlinskiBeat präsentiert ab Freitag den „Sound der Goldenen Zwanziger“ und das Schultheiss-Lied „Dit is Berlin“ in Berliner Kiezkneipen. Am 17. Mai um 17.50 Uhr tritt die siebenköpfige Retroband sogar im Edelkaufhaus KaDeWe auf.

Ansonsten backt Schultheiss längst kleinere Brötchen. Hundert Jahre ging es steil nach oben. Bereits 1871 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, wurden lokale Konkurrenten übernommen und das Marktgebiet um Anhalt, Schlesien und die Provinz Posen erweitert. Trotz Ersten Weltkriegs wurde 1917 eine neue Malzfabrik eingeweiht, und 20 Jahre später wurde Schultheiss ein NS-„Musterbetrieb“. Der Zweite Weltkrieg brachte die Zäsur: Die Braustätten außerhalb West-Berlins wurden verstaatlicht. Der Rest fusionierte vor 45 Jahren mit der Dortmunder Union-Brauerei.

Das maßgeblich von Bayrischer Hypo und Dresdner Bank gestiftete „vereinigte Sud-Imperium“ (Spiegel 43/72) – mit einem damaligen Getränkeausstoß von fast elf Millionen Hektolitern – jährlich löste auch den Urknall für die Brauerfusionitis aus, die bis heute anhält. Doch die spätere Brau und Brunnen AG verschluckte sich schließlich selbst daran: Der überteuerte Kauf von Jever und der Bavaria-St. Pauli-Brauerei brachte 1995 dreistellige Millionenverluste und machte das Bierkonglomerat zum Sanierungsfall. 2004 gingen die verbliebenen Brauereien und somit auch Schultheiss an die Radeberger Gruppe – den 1952 durch den Kauf von Binding entstandenen Getränkebereich der Oetker-Gruppe.

Große Braugruppen dominieren den Markt

Der Schultheiss-Werbeslogan „Echt Berlin. Echt Schultheiss“ könnte daher um „Echt Dr. Oetker“ erweitert werden. Der millardenschwere Bielefelder Familienkonzern ist nämlich nicht nur Erfinder der deutschen Tiefkühlpizza und deren größter Anbieter, sondern auch Besitzer der größten Brauereigruppe Deutschlands (JF 38/16). Wie es künftig weitergeht, ist indes ungewiß: Zum 1. November zieht sich die zerstrittene Oetker-Familie nach 126 Jahren aus dem Tagesgeschäft zurück.

Die meisten bekannten deutschen Biermarken gehören zu Oetkers Radeberger Gruppe oder einer der großen internationalen Braugruppen wie dem Weltmarktführer Anheuser-Busch InBev, Heineken (Niederlande) und Carlsberg (Dänemark). Das „ausgeprägte Markenbewußtsein der Verbraucher und die Tradition örtlicher Marken“ setze dem Brauer-Konzentrationsprozeß Grenzen, hieß es schon 1972 in einer Commerzbank-Studie über die „Eigentümlichkeiten des deutschen Biermarktes“. Damals gab es in der alten Bundesrepublik etwa 1.800 Brauereien. 2016 waren es in Deutschland immerhin noch 1.408 – mit steigender Tendenz. Denn es gibt einen Trend zur Region und hin zum Heimischen. Bitburger (zur Gruppe gehören König-Pilsner, Köstritzer, Licher, Wernesgrüner und Benediktiner Weißbier) spricht von der Südeifel als seinem „zu Hause“. Paulaner (Schörghuber Unternehmensgruppe/Heineken) wirbt mit Einblicken in die „Münchner Braukunst“. Entgegen der Befürchtung, die Fusionitis führe zu Vereinheitlichung und Brauereisterben, wächst die Anzahl der Braustätten in Deutschland seit dem Tiefpunkt 2003 (1.275 Brauereien) stetig.

Trend in der Brauerzunft geht zum Regionalen

Seit 2006 verzeichnet die Statistik auch in der vermeintlichen Bierbrache Berlin-Brandenburg 29 Neuanmeldungen von Gerstensaftproduzenten. Dafür sind allerdings vor allem Mikrobrauereien mit einem Jahresausstoß von nicht mehr als tausend Hektolitern verantwortlich. Diese oft in einer Gastwirtschaft integrierten Getränkeproduktionen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit (JF 14/17). Sie erzeugen und vertreiben vor allem regionale Craft-Biere (JF 31/16). Das mit langem A gesprochene Craft entlehnt sich dem Englischen und bezeichnet die handwerkliche Machart die dem ganzen Prozeß zugrunde liegt.

Die Braumanufaktur Potsdam im Forsthaus Templin besitzt zwar nicht nicht die Größe der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei, aber hier kann man übers Jahr insgesamt zwölf verschiedene Brauspezialitäten testen – von der unfiltrierten „Potsdamer Stange“, über den „Maibock“ bis zum dunklen „Nikolator“. Der deutsche Biermarkt ist innovativ: „Jede Woche kommen neue, hochwertige Biere auf den Markt. Die Verbraucher hatten nie eine so große Auswahl wie heute“, erklärte Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB), kürzlich in Berlin. Mit 624 Braustätten ist Bayern weiter Bierland Nummer eins, die meisten Neugründungen verzeichnet allerdings der Großraum Schleswig-Holstein/Hamburg. Sechs zusätzliche Betriebe haben sich dort 2016 angemeldet – trotz rückläufiger in Deutschland getrunkener Hektoliterzahlen.

Lag der Pro-Kopf-Verbrauch 1990 bei 141,9 Litern waren, es 2015 nur noch 105,9 Liter. Die Bayern halten mit 160 Litern zwar weiter den Rekord, aber früher waren es noch 20 Liter mehr. Der sinkende Inlandsverbrauch wird durch eine steigende Exportbiermenge ausgeglichen. Die knapp 95 Millionen Hektoliter, die die deutschen Brauereien jährlich produzieren, werden nur durch Brasilien, die USA und China übertroffen. Spitzenreiter China braut fünfmal soviel wie Deutschland. Dafür ist die zweitgrößte Brauerei der Volksrepublik ursprünglich deutsch: Tsingtao ist der Nachfolger der Germania-Brauerei im ehemaligen Schutzgebiet Kiautschou.

Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei:  www.schultheiss.de