© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Vom Bauern zum Farmcommander
In der deutschen Landwirtschaft hält die Digitalisierung Einzug / Neue Alternativen zur Giftspritze?
Christoph Keller

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schlägt Alarm: Dank Digitalisierung, Automatisierung und verstärktem Robotereinsatz werden im nächsten Jahrzehnt allein in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern etwa 300.000 Arbeitsplätze wegfallen. Und zwar allein im Dienstleistungssektor, vor allem in den Bereichen Logistik, Einzelhandel, Gesundheitswesen und Banken. Wie sich die vierte industrielle Revolution („Arbeit 4.0“) für die Landwirtschaft im immer noch agrarisch geprägten Norddeutschland aussehen wird, verrät die neue Studie nicht.

Was nicht bedeutet, daß die neuen Techniken nicht bald im abgelegensten, vom Breitband-Internet bisher nicht erreichten Dorf Einzug halten werden. An Universitäten und privaten Instituten wie dem Laserzentrum in Hannover erforscht man mit Feuereifer die technischen Voraussetzungen für den „Bauernhof von morgen“, wo nicht mehr der im Stall und auf dem Acker anpackende Landwirt, sondern der lässig am PC seine Roboter dirigierende „Farmcommander“ die Nahrungsproduktion managt.

„Agrartechnik 4.0“ ersetzt Insektizide und Pestizide?

Dann ist Alltag, was die gruselige Zeichnung eines menschenleeren Betriebs ankündigt, die den Report des Münchener Umweltjournalisten Horst Hamm illustriert (Natur, 4/17): Der einsam am heimischen Rechner hockende „Bauer 4.0“ überwacht und lenkt seinen Betrieb nach dem Vorbild eines Raumschiffkapitäns. Nur noch fünf Jahre dauere es, so versichert der über „Untersuchungen zum Einsatz von Lasertechniken in der Pflanzenproduktion“ promovierte Ingenieur Christian Marx, bis die am Hannoveraner Laserzentrum entwickelte Technik als „Alternative zur Giftspritze“ marktreif sei und in Serie gehen könne.

Glyphosat, das meistgenutzte – aber möglicherweise krebserzeugende – Pestizid der Welt, lasse sich dann durch die Technik 4.0 ebenso ersetzen wie Insektizide. Denn Licht bekämpfe nicht nur Unkräuter, sondern auch Schädlinge wie Schnecken in Salatfeldern und Raupen im Raps. Selbst Biobauern würden von der Laser-Alternative zur Chemiekeule profitieren, denn sie bräuchten etwa ihre Möhrenkulturen nicht mehr mühselig per Hand von wuchernder Gartenmelde oder Breitwegerich befreien. 

Seit 2010 erproben Marx und seine Kollegen den Nutzpflanzenschutz mit Laserlicht. Die Bilderkennung sei inzwischen so präzise, daß sie Rüben, Mais, Weizen und andere Kulturpflanzen bereits in frühen Wachstumsstadien sicher von Unkräutern unterscheide. Finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, arbeite man jetzt an der Feinjustierung: „Mit wieviel Energie muß das unerwünschte Kraut getroffen werden, welche Laserwellenlänge ist am besten, in welchem Unkrautstadium erzielt der Einsatz die stärksten Effekte?“ Da die Lasertechnik auf dem Acker „grundsätzlich funktioniert“, sind erst solche Fragen zu beantworten, um zu klären, wie sie großflächig anzuwenden ist. 

Bei der praktischen Umsetzung könnte der von Bosch entwickelte Agrarroboter „BoniRob“ helfen, ein klobiges Fahrgestell auf vier Ballonreifen, 1,40 Meter breit, 1,60 Meter lang, das, autonom wie ein Mähroboter im Vorgarten, auf dem Acker herumfährt. Lasertechnik montiert auf BoniRob, das klingt wie die ideale Kombination einer praxistauglichen Agrartechnologie. Doch mehr als eine Vision, so dämpft Hamm allzu kühne Erwartungen, zeichne sich zwischen Hannover und Stuttgart noch nicht ab. Die Crux zeige sich beim Vergleich von Mensch und Maschine. Ein Landwirt mit herkömmlicher Traktor-„Giftspritze“ decke mit zehn Kilometern pro Stunde einen Feldstreifen von 50 Metern ab. Der batteriegetriebene Agrarroboter schafft in der gleichen Zeit einen Kilometer mit einem Meter Breite.

Futuristische Träumereien

Weiter fortgeschritten sind Forschungen zum Einsatz von Drohnen. Auch sie kommen als Träger der Lasertechnik in Betracht. Mit ihnen stelle man den Nährstoff- und Wassergehalt von Böden fest oder registriere das unterschiedliche Wachstum der Nutzpflanzen, um anhand dieser Daten gezielt zu düngen, zu bewässern oder dem Unkraut per Lichtstrahl den Garaus zu machen. Aussichten, die der Agrarwissenschaftler Felix Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg ebenso zu futuristischen Träumen inspirieren wie die Vorstellung, Landmaschinenkontrukteure könnten schwere Traktoren in mehrere kleine Einheiten zerlegen, die mit geringer Rechenkapazität zu steuern seien.

„Der Bauer“, wie der Chef des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) den Farmcommander anachronistischerweise noch tituliert, sitze dann mit seinem Joystick am Feldrand und dirigiere beim Säen, bei der Unkraut- und Schädlingsbekämpfung sowie bei der Ernte seinen Roboterpark. Weiterer Vorteil: der Boden würde dank der leichteren Technologie nicht mehr verdichtet, man leide also weniger unter den Folgeschäden der Bodenerosion.

Obgleich der Ökoprinz hier aus Hamms Sicht etwas weit vorgreift, sind viele solcher Technologien schon auf dem Vormarsch. Gezieltes Düngen ist heute bereits dank GPS und modernster Satellitennavigation möglich. Die Fachschule Osnabrück habe zur weiteren Perfektionierung des Systems gerade einen elektronisch gesteuerten Universaldüngerstreuer entwickelt, der Kuhmist und Schweinedung so akkurat auf dem Acker ausbringt, daß die Pflanzen ausreichend mit Nährstoff versorgt, aber nicht überdüngt werden. 

Für Horst Hamm werden diese Techniken in absehbarer Zeit die von industrieller Landwirtschaft verursachten ökologischen Miseren beenden. „Verheerende Lasten“ von Stickstoff, Ammoniak, Lachgas und Phosphor, wie sie die Massentierhaltung erzeugt, und auch die 40.000 Tonnen Pestizide, die auf deutschen Äckern und Feldern alljährlich versprüht werden, zerstörten demnächst nicht mehr die Umwelt. Der ungeachtet aller hochtönenden „Nachhaltigkeits“-Strategien der EU ungebrochen anhaltende „krasse Artenschwund“ werde endlich wirklich aufgehalten. 

Diesen Ausweg aus dem, wie Hamm die wesentlichste Folge der Globalisierung treffend charakterisiert, „Optimierungswettlauf im weltweiten Preiskampf“ sehen Werner Klohn (Uni Vechta) und Andreas Voth (RWTH Aachen) in ihrer Standortbestimmung der deutschen „Landwirtschaft im Spiegelbild ökonomischer und ökologischer Herausforderungen“ (Geographische Rundschau, 1/17) derzeit nicht.

Wolle die Landwirtschaft der Umwelt und dem Tierwohl stärker Rechnung tragen, bliebe jenseits der gültigen „marktwirtschaftlichen Logik des Wachsens oder Weichens“ allein eine nur für wenige realisierbare Nischenstrategie: die Umstellung auf Öko-Landbau und infolgedessen die forcierte Regionalisierung von Bioprodukten. 

Studie „Digitalisierung, Automatisierung und Arbeit 4.0 – Beschäftigungsperspektiven im norddeutschen Dienstleistungssektor“:  boeckler.de

Bosch-Robotik-Plattform „BoniRob“: deepfield-robotics.com