© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Der Flaneur
„Eine Moschee, eine Moschee!“
Paul Leonard

Die Polizisten tauchen wie aus dem Nichts am Bahnsteig auf. Ihr Ziel ist ein allein sitzender Mann – augenscheinlich ein Asylbewerber. Als die Streifenführerin ihn nach Ausweispapieren fragt, verfinstert sich dessen Blick. Mürrisch gibt er den Beamten einen zusammengefalteten Zettel, stößt einen Fluch aus. „Wie bitte?“ fragt die Polizistin. Der Kontrollierte schaut schweigend zur Seite. Die Beamten lesen sorgfältig das Dokument, geben es zurück und wünschen eine gute Reise. 

Aggressiv schreit der Mann eine ältere Frau an, die neben ihren Koffern schrumpft.

Kaum sind sie verschwunden, bricht sich die bisher zurückgehaltene Wut des Mannes ihre Bahn. Lauthals fängt er an zu schimpfen. Daß es Beleidigungen sind, die sowohl der Polizei als auch der deutschen Gesellschaft und den anderen auf den Zug Wartenden gelten, dafür muß man kein Arabisch verstehen, zumal er einiges auf englisch wiederholt.

Aggressiv schreit der Mann, der sich offenbar ob der Kontrolle diskriminiert fühlt, eine ältere Frau an, die neben ihren Koffern sichtlich schreckensstarr schrumpft. Von den Polizisten, den eigentlichen Auslösern der verbalen Attacke, ist nichts mehr zu sehen.

Der Asylbewerber redet inzwischen auf eine andere Frau ein, deren beide Kinder zu weinen anfangen. Dann wendet er sich beim Einsteigen in den eingefahrenen Zug einem jungen bärtigen Mann zu, der ihm immer wieder ermutigend zunickt. Offenbar beruhigt das den Aufgebrachten. Im Abteil sitzt er dann ruhig in der Ecke. Als der Zug die Elbbrücke passiert, stößt er plötzlich aufgeregt seinen neuen „Freund“ an. „A Mosque“, sagt er auf englisch und deutet auf einen imposanten Bau mit Glaskuppel und Minarett.

Das sei die Yenidze, entgegnet der, ein Industriegebäude, das ein Tabakgroßhändler Ende des 20. Jahrhunderts nur einer Moschee nachempfunden habe. Heute würden unter der Kuppel Märchen aus 1001 Nacht vorgelesen. Aber der Asylbewerber versteht nicht. „A Mosque, a Mosque!“, jubelt er und steigt beim nächsten Halt aus.