© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Verordnetes Vergessen
Bundeswehr: Das Abschneiden von militärischen Traditionen zerstört eine Armee
Michael Paulwitz

Jede Nation, die eigene Staatlichkeit und Geschichte hat, besitzt auch eine militärische Tradition. Ohne Armee als sichtbarer Ausdruck des Souveränitätsanspruchs nach außen kein Staat; und ohne militärische Tradition keine funktionierende Armee. Eine traditionslose Armee ist kaum mehr als eine Söldnertruppe; und selbst diese kommt nicht ohne militärische Vorbilder aus, wenn sie denn mehr als bloße Dekoration sein soll.

Der Versuch von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der Bundeswehr jegliche Erinnerung an die Zeiten vor ihrer Gründung und insbesondere der Wehrmacht auszutreiben, ist der vorläufige Höhepunkt einer verordneten Geschichtsvergessenheit, in der sich moralisierende Überheblichkeit mit fundamentaler Ignoranz gegenüber dem Militärischen, seinen Bedingungen und Erfordernissen verbindet. Das ideologische Eiferertum, mit dem die „Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt“ dabei vorgeht, und der lakaienhafte Kadavergehorsam, mit dem Generalinspekteur Volker Wieker als ranghöchster deutscher Soldat die Befehle seiner obersten Vorgesetzten exekutiert, ohne den geringsten Zweifel anzumelden, sind näher am Ungeist vergangener Zeiten, als beiden überhaupt bewußt sein dürfte. 

Untrügliches Kennzeichen ideologischer Verblendung ist das fanatische Absolutsetzen von Teilwahrheiten. Indem die Ministerin und ihr Generalinspekteur alles aus den Kasernen verbannen wollen, was an die deutsche Armee im Zweiten Weltkrieg erinnern könnte, und dafür auch noch den bolschewistischen Kampfbegriff „Säuberung“ benutzen, machen sie eine zuvor der extremen Linken vorbehaltene Position zur offiziellen Richtschnur politischer und militärischer Führung: die pauschale Gleichsetzung von Wehrmacht und Nationalsozialismus und ihre undifferenzierte Diffamierung als „verbrecherische“ Organisation.

Der daraus abgeleitete exorzistische Wahn treibt derzeit immer groteskere Blüten. Der Generalinspekteur läßt selbst Helme, historische Waffen und Ausrüstungsteile aus den Vitrinen und Traditionsecken verbannen. Der Bildersturm auf Darstellungen von Soldaten in Wehrmachtsuniform macht selbst vor einem Porträt des über die Parteigrenzen verehrten Altbundeskanzlers Helmut Schmidt als jungem Leutnant in der nach ihm benannten Bundeswehr-Universität in Hamburg nicht halt. Kasernen und Standorte, die nach bislang über jeden NS-Verdacht erhabenen Wehrmachtssoldaten benannt sind, sollen umgetauft werden. Auf die Neuauflage des Bundeswehr-Liederbuchs wartet der Papierkorb. In Hammelburg wird ein Wandbild des nach dem 20. Juli zum Selbstmord gezwungenen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel übermalt; und im Bundeswehrkrankenhaus Westerstede mußte sogar eine historische Rotkreuzflagge entfernt werden.

Daß die deutsche Armee und ihre militärischen Traditionen vom nationalsozialistischen Totalitarismus – und übrigens auch vom kommunistischen – mißbraucht und den eigenen ideologischen Zwecken untergeordnet wurden, entwertet nicht die militärischen Leistungen, die von vielen ihrer Soldaten vollbracht wurden, und berechtigt auch nicht zur pauschalen Verdammung jedes einzelnen ihrer Angehörigen. 

Die Gründer der Bundeswehr waren sich dieses Spannungsfelds bewußt. Natürlich konnte die Bundeswehr nicht einfach eine bruchlose Fortsetzung der Wehrmacht sein. Doch in Zeiten, da Millionen ehemaliger Soldaten das Land wiederaufbauten, wußte man noch, daß Schuld und Verantwortung individuelle Kategorien sind. Ohne sorgfältig ausgewählte Soldaten und Offiziere, die ihr Handwerk in der Wehrmacht gelernt hatten, hätte die Bundeswehr nicht geschaffen werden und sich auch nicht den Respekt der Verbündeten erwerben können. 

Aufgeklärtes Traditionsverständnis vermag Soldatenhandwerk und ideologische Instrumentalisierung zu unterscheiden. Der Traditionserlaß von 1982, von einem Sozialdemokraten verantwortet, wußte noch um die Bedeutung, welche  „soldatische Erfahrungen und militärische Leistungen der Vergangenheit für die Ausbildung der Streitkräfte“ haben. Das „Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen“ war, bei „Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang“, ausdrücklich erlaubt.

Selbst das ist zuviel für eine ignorante Ministerin, die einen neuen Traditionserlaß anstrebt, der den historischen Bezugsrahmen auf 60 Jahre Bundeswehr beschränken will. In Zeiten, da die Truppe weltweit in Kriegseinsätze entsandt wird und kriegsnahe Ausbildung auch an praktischen Beispielen der Vergangenheit dringender denn je braucht, ist das ein Anschlag auf die Kampftauglichkeit. 

Um die ist es ohnehin nicht zum besten bestellt, seit die Bundeswehr systematisch kaputtgespart und zum Spielball politisch-ideologischer Vorgaben gemacht worden ist, die ihr Gender-Gaga und Gleichstellungszirkus beschert haben, während wegen veralteter Ausrüstung, Munitions-, Ersatzteil- und Personalmangel nur ein Bruchteil der geschrumpften Truppe überhaupt einsatzfähig ist. 

Die von oben verordneten Säuberungen und Denunziationsaufrufe vergiften dazu auch noch die Kameradschaft, ohne die eine Armee nicht bestehen kann. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Wer Zusammenhalt als „Korpsgeist“ diffamiert und Traditionspflege unter „Rechtsextremismus“- und „Kriegsverherrlichungs“-Verdacht stellt, zerstört die Substanz der Armee gründlicher, als jeder Feind von außen es je bewerkstelligen könnte.