© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Von der Leyen putzt aus
Bundeswehr und Erbepflege: Die Verteidigungsministerin bläst zum erbitterten Kampf an der Vergangenheitsbewältigungsfront
Christian Schreiber

Das Verhältnis zur Wehrmacht beschäftigt die Bundeswehr seit ihrer Gründung. Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte die Bundesrepublik eine Armee auf. Einen Namen bekamen die Streitkräfte allerdings erst im April 1956. Der Vorschlag „Wehrmacht“ wurde verworfen, weil man eine begriffliche Nähe zur NS-Zeit verhindern wollte. Statt dessen entschied sich der Bundestag für „Bundeswehr“ in Anlehnung an die „Reichswehr“ der Weimarer Republik.

In der Diskussion um die Vergangenheitsbewältigung der (west-)deutschen Armee stechen die beiden Traditionserlasse ins Auge. Der erste wurde bereits ein Jahrzehnt nach Gründung der Bundeswehr vom damaligen Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) herausgegeben. Vorangegangen waren Auseinandersetzungen, in welcher Form und wozu überhaupt „überlieferungswürdige“ Werte aus der deutschen Geschichte in der Truppe gepflegt und weitergegeben werden sollten. Das betraf vordergründig soldatisches Brauchtum oder Symbole, in stärkerem Maß aber Traditionen, die Orientierung im gesellschaftlichen Umfeld bieten könnten. Angesichts der unmittelbaren Vorläufer der Bundeswehr, Reichswehr und Wehrmacht, die als wenig traditionswürdige Institutionen hingestellt wurden, kam die Forderung auf, die Bundeswehr müsse eine eigene Tradition entwickeln.

So schlechte Stimmung in der Truppe wie lange nicht

Im ersten Erlaß kommt der Begriff „Wehrmacht“ gar nicht vor, er nahm jedoch positiv Bezug auf die militärischen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Der Traditionserlaß von 1982 regelt unter anderem, wie die Bundeswehr mit ihrem militärischen Erbe umgeht. Er hat bis heute Gültigkeit, allerdings soll er im Zuge der aktuellen Debatte „klarer“, und das heißt wohl, schärfer und geschichtsfeindlicher formuliert werden. Als bedeutende Symbole werden darin die schwarzrotgoldene Flagge, die Nationalhymne, der Adler des Bundeswappens oder das Eiserne Kreuz aufgeführt. „Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt“, steht schwarz auf weiß unter Punkt 25. „Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt, was gewesen ist.“ Exponate müßten in einen erkennbar geschichtlichen Zusammenhang eingeordnet werden. Das Dritte Reich und der Nationalsozialismus werden dabei explizit als Traditionsstifter ausgeschlossen, nicht aber einzelne Soldaten der Wehrmacht. Die deutschen Streitkräfte seien in den Nationalsozialismus „teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos mißbraucht“, hält Punkt 6 der einleitenden Grundsätze fest.

Doch nicht nur über Symbole, auch über Personen wurde in der Vergangenheit heftig diskutiert. Bis Mitte der achtziger Jahre hatten fast alle westdeutschen Generäle und Admiräle noch in der Wehrmacht gedient. Der innerhalb der Truppe äußerst beliebte Verteidigungsminister Georg Leber geriet 1976 in eine Autoritätskrise, weil er zwei Luftwaffengeneräle kurzerhand entlassen hatte. Die hatten – entgegen einer Weisung – den ehemaligen Fliegeroberst Hans-Ulrich Rudel an einem Luftwaffentraditionstreffen teilnehmen lassen. Später rechtfertigten sie das Vorgehen damit, daß mit Herbert Wehner für die SPD schließlich auch ein ehemaliger Kommunist im Bundestag saß. Rudel war für viele aus der damals noch zahlreichen Erlebnisgeneration ein Kriegsheld. Seine Teilnahme an rechtsgerichteten Treffen im Nachkriegsdeutschland ließ ihn aber in den Augen der politisch Verantwortlichen zu einer Belastung für die Bundeswehr werden. Gleiches gilt für den testamentarischen Nachfolger Adolf Hitlers, Großadmiral Karl Dönitz. Der ehemalige Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war von den Siegern des Krieges in den Nürnberger Prozessen zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Nach seiner Entlassung 1956 war er gerngesehener Gast bei Veteranentreffen. Die Bundeswehrspitze quälte sich jahrelang mit dieser fast „mythischen Großadmiralsfrage“, wie es der Spiegel einmal formulierte. In einem Beschluß aus dem Jahre 1958 teilte das Verteidigungsministerium aber mit: „Der einstige Großadmiral Dönitz ist nicht Vorbild der Bundeswehr.“

Doch es gibt Fälle, in denen nichts eindeutig ist. Übereifrige Kritiker forderten unlängst eine Umbenennung der Heusinger-Kaserne in Hammelburg. Adolf Heusinger, der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, war während des Ersten Weltkrieges im Jahr 1915 freiwillig in das Heer des Deutschen Kaiserreiches eingetreten. Anschließend diente er sowohl in der Reichswehr der Weimarer Republik als auch in der Wehrmacht. Als Mitwisser des 20. Juli geriet er in Haft, seine Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr sind unstrittig. 

Als „umstritten“ gilt auch die Vergangenheit von Konteradmiral Rolf Johannesson. In der Marineschule in Mürwik wurde vor kurzem seine Büste aufgestellt. Kritiker behaupten, daß der Admiral in den letzten Kriegstagen Todesurteile bestätigt habe.

Als Zeichen für einen neuen Umgang der Bundeswehr mit ihrer Tradition will die Verteidigungsministerin nun Kasernen mit den Namen von Wehrmachtsoffizieren umbenennen. „Ich finde, die Bundeswehr muß nach innen und außen klar signalisieren, daß sie nicht in der Tradition der Wehrmacht steht.“ Die Bundeswehr solle ihre eigene 60jährige Geschichte selbstbewußt stärker in den Vordergrund stellen. „Warum nicht auch in Kasernennamen?“ Nach der Kritik von der Leyens ist die Stimmung in der Bundeswehr so schlecht wie schon lange nicht mehr. „Die Offiziere begehren auf“, konstatiert die FAZ. Der ehemalige Luftwaffenoffizier Thomas Wassmann, Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr, übte Kritik. Er vertritt Tausende aktive und pensionierte Soldaten. Die Bundeswehr sei ein Schatten ihrer selbst, von Regierungen aller Couleur finanziell und materiell heruntergewirtschaftet. Hinzu kommen Medienberichte über teilweise veraltete und nicht einsatzbereite Waffensysteme. Die Truppe sei kaum in der Lage, Bündnisverpflichtungen nachzukommen, sagen Offiziere. Wassmann nennt die Armee „allenfalls bedingt einsatzbereit“.





Ausriß aus dem Traditionserlaß von 1982

1. Tradition ist die Überlieferung von Werten und Normen. (...) Tradition verbindet die Generationen, sichert Identität und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Tradition ist eine wesentliche Grundlage menschlicher Kultur. Sie setzt Verständnis für historische, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge voraus.

5. Politisch-historische Bildung trägt entscheidend zur Entwicklung eines verfassungskonformen Traditionsverständnisses und einer zeitgemäßen Traditionspflege bei. Dies fordert, den Gesamtbestand der deutschen Geschichte in die Betrachtung einzubeziehen und nichts auszuklammern.

10. (...) Formen, Sitten und Gepflogenheiten tragen (...) zur Verhaltenssicherheit im Umgang miteinander bei. Nicht jede Einzelheit militärischen Brauchtums, das sich aus früheren Zeiten herleitet, muß demokratisch legitimiert sein.

 11. Traditionsbewußtsein zu wecken ist eine wichtige Aufgabe der Vorgesetzten.

 17. In der Traditionspflege der Bundeswehr soll auf folgende Einstellungen und Verhaltensweisen besonderer Wert gelegt werden: kritisches Bekenntnis zur deutschen Geschichte, Liebe zu Heimat und Vaterland, Orientierung nicht allein am Erfolg und den Erfolgreichen, sondern auch am Leiden der Verfolgten und Gedemütigten.

 21. Die Traditionspflege liegt in der Verantwortung der Kommandeure und Einheitsführer. Sie (...) treffen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Grundgesetz und Soldatengesetz im Sinne der hier niedergelegten Richtlinien selbständig.

22. Traditionen von Truppenteilen ehemaliger deutscher Streitkräfte werden an Bundeswehrtruppenteile nicht verliehen. Fahnen und Standarten früherer deutscher Truppenteile werden in der Bundeswehr nicht mitgeführt oder begleitet.

 25. Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt. Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt, was gewesen ist.