© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Grüße aus Wien
... aus dem Kellerloch
René-Lysander Scheibe

Heizungsrohr und Rattengift, gestampfte Erde und viel Mist: je tiefer wir gehen, desto mehr umfängt uns die Dunkelheit. Dank Elektrifizierung und, wie manche glauben, der Psychoanalyse, bleibt es nicht bei Finsternis. Das Licht von Edisons und Freuds Gnaden öffnet Räume auch in realen Keller- und anderen Dunkelgründen. 

Über des Österreichers Beziehung zum eignen Keller wird ja nördlich der Alpen viel gespottet, doch die meisten kellerbeheimateten Leichen sind grüne Weinflaschen, leer und trocken und von Staub bedeckt. Denn kaum ein Winzer nimmt zurück, was er vor Jahren an Gebinde mitverkauft hat. 

Manches kommt auch außer Brauch, so der Doppler. Früher durchaus bürgerliches Flaschenformat für den Alltagstropfen aus der Wachau oder dem Weinviertel, heute auch im Billigstsegment bedroht durch Rebensaft aus dem Tetrapack. 

Im Flachdachzeitalter haben nur wenige Wiener mehr Zugang zu einem Dachboden, aber fast alle sind Herr über ein kleines Appartement unter Straßenniveau – in den ältesten Teilen der Stadt verfügt manch Glücklicher mitunter über einen im letzten Kriege abgetrennten Zugang zum Katakombensystem, der Nekropole rund um Sankt Stephan. 

Sentimentalität und die Frage nach vertanen Möglichkeiten machen sich breit.

Der Gang in den eigenen Keller oder den eines verstorbenen Angehörigen ist ein montanistisches Unternehmen. Schicht um Schicht will freigelegt sein, das Jüngere ruht auf tiefstem Vergangenem. Erinnerungsstücke hier, die Uhr aus Gymnasiastentagen, alte Fotos von vergessenen Bekanntschaften, Dienstgradabzeichen aus der Rekrutenzeit und Tonbandkassetten, zu deren Zugang mangels Abspielgerät kein Weg führt. 

Sentimentalität und die Frage nach vertanen Möglichkeiten machen sich breit, und der Steiger mit dem vermeintlich hellen Licht der Aufklärung, der Rationalisierung und der Zukunftsorientierung, er hat es schwer, zur Seele des Kellergängers vorzudringen. 

Kreuzbrav wollen wir sein, und so verlassen wir den Keller, das Abteil mit dem Vorhängeschloß gut gesichert, hinauf zur Wohnung des Alltags. 

Kellerabteile gibt es auch in anderen Städten, und auch dort rufen Andenken Erinnerungen wach. Was ist so wienerisch daran? Vielleicht – den Wiener Heimatdichter Josef Weinheber paraphrasierend – die stille Übereinkunft, daß das schönere Leben gestern war.