© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Sebastian Kurz setzt alles auf eine Karte
Österreich: Der neue Chef der liberal-konservativen Regierungspartei ÖVP bricht mit dem Partner SPÖ / Neuwahlen im Oktober
Verena Rosenkranz

Überraschend trat der österreichische Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) vor die Kameras. Mit den Worten „Ich habe genug, meine Damen und Herren, damit darf ich abdanken“, gab er seinen offiziellen Rücktritt für den 15. Mai bekannt und löste damit einen völligen Umbruch in der liberal-konservativen Volkspartei aus.

Ähnlich wie Kanzler Werner Faymann (SPÖ), der genau ein Jahr zuvor ohne jegliche Absprache mit seiner Partei den Rücktritt verkündete, zwangen auch Mitterlehner parteiinterne Streitigkeiten in die Knie. Ausschlaggebend für seinen unerwarteten Rücktritt dürfte aber nicht zuletzt der Jungpolitiker und derzeitige Außenminister Sebastian Kurz (ebenfalls ÖVP) gewesen sein. 

Obwohl Kurz in einer ersten Stellungnahme nicht für Mitterlehner einspringen wollte, gab er zwei Tage später seine Bedingungen für eine Parteiübernahme bekannt. Unter der Auflage, selber alle Personalentscheidungen treffen zu dürfen, könne er sich vorstellen, die Agenden des Parteiobmannes zu übernehmen und mit einer von der ÖVP unterstützten Liste bei den anstehenden Nationalratswahlen zu kandidieren. Die überbürokratisierten Strukturen innerhalb der eigenen Partei will er so umgehen und in einem kurzen, aber auf die „Marke Kurz“ zugeschnittenen Wahlkampf punkten. In ersten Wählerumfragen schnellten Kurz und seine ÖVP-Liste bereits auf Platz eins und stellen eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Freiheitlichen unter Heinz-Christian Strache dar.

Kanzler Kern betont seine Handlungsfähigkeit

Eine klare Entscheidung traf dann auch der ÖVP-Bundesvorstand am Sonntag abend, als er den 30jährigen einstimmig zum neuen Parteichef wählte und den Weg freigab für die „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“. Kurz darauf gab Kurz dem Reformangebot von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) einen Korb. Man dürfe nicht so tun, als wäre „nichts gewesen“. Viele in der Großen Koalition würden jetzt zwar gern den siebzehnten Neustart ausrufen und zudem verkünden, daß „diesmal, wirklich, aber ganz wirklich alles ganz anders“ werde. Doch infolge würden wieder nur Minimalkompromisse getroffen, die in „Wahrheit“ das Land nicht voranbrächten.  

Der richtige Weg wären stattdessen vorgezogene Neuwahlen. Nur sie böten die Chance, um „Veränderungen möglich zu machen“. Rückendeckung erhielt er von der Opposition. Auf Betreiben von Strache trafen sich am Montag die Parteispitzen der Grünen, Neos und des Teams Stronach. Nach ungewohnt harmonischen Gesprächen verkündeten sie die Einigung auf den möglichen Neuwahltermin am 15. Oktober. Kurz darauf signalisierten die ÖVP und dann auch SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder ihre Zustimmung.

 Streit gab es dennoch am Dienstag. Denn Kurz setzte alles auf eine Karte und lehnte es ab, bis zu den Neuwahlen als Vizekanzler zu amtieren. Stattdessen brachte er zum Unmut von Kern Justizminister Wolfgang Brandstetter ins Spiel. In einer mit Spannung erwarteten Rede im Parlament kritisierte der SPÖ-Politiker daraufhin Kurz für dessen starre Haltung und unterstrich, daß er statt „Postenpoker und Parteipolitik“ die Handlungsfähigkeit der Regierung bewahren wolle. Daher akzeptiere er auch den von der ÖVP vorgeschlagenen Brandstetter als Vizekanzler.