© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Rückstand bei der Digitalisierung aufholen
Deutsches Internet-Institut: Fünf Universitäten konkurrieren um den Sitz der neu zu gründenden Forschungsinstitution / Parteien streiten in Baden-Württemberg
Christian Schreiber

Wer macht das Rennen? In Berlin, Hannover, Bochum, Karlsruhe und München schauen die Wisssenschaftsministerien gespannt nach Berlin. Dort will Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) Ende Mai den Sieger des Ideenwettbewerbs um den Standort des Deutschen Internet-Instituts verkünden, dessen Arbeit in den ersten fünf Jahren mit bis zu 50 Millionen Euro gefördert werden soll. 

Im September 2015 gab die Ministerin den Startschuß für die Errichtung einer solchen Einrichtung, die die „Digitalisierung in ihrer ganzen Komplexität“ erforschen soll. Ende Februar 2017 lief die Bewerbungsfrist schließlich ab. 

In einer ersten Auswahlrunde wurden unter Beteiligung eines Expertengremiums aus den eingereichten Skizzen fünf Vorschläge zur weiteren Ausarbeitung ausgewählt. Das Rennen machten die Bewerbungen unter Federführung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover, des Karlsruher Instituts für Technologie, der Ruhr-Universität Bochum sowie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

Sorgen vor neuer Gesinnungspolizei

„Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses soll das Deutsche Internet-Institut ein Ort für Forschungsaufenthalte exzellenter Nachwuchswissenschaftler sein“, heißt es in einer Erklärung des Ministeriums. Auf die Einrichtung des Instituts hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag und in der Digitalen Agenda der Bundesregierung geeinigt. 

Am neuen IT-Forschungszentrum sollen rechtliche, ethische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte des digitalen Wandels erforscht werden, also etwa Datenschutz und Urheberrecht, Wissensverbreitung oder der „Mißbrauch“ des Internets durch Extremisten und sogenannte Populisten. Kritiker fürchten daher, das Institut könne auch eine Kaderschmiede der Gesinnungspolizei werden. Eine nach Ministeriumsangaben „hochrangig besetzte Jury mit Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft unter Leitung von Professor Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet-Institut“ habe fünf Ansätze für die nächste Runde der Förderung empfohlen, in der nun Konzepte für das Institut erarbeitet werden sollen. 

Neben Mayer-Schönberger gehören der Jury unter anderem die ehemalige Spiegel Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert, heute Managerin beim Firefox-Entwickler Mozilla, und Constanze Kurz, Informatikerin, Pressesprecherin des Chaos Computer Club und Journalistin bei netzpolitik.org an.

Mit dem Deutschen Internet-Institut wolle die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung des Internets international Rückstände aufholen. „Unser Ziel ist ehrgeizig“, sagte Wanka über das neue Institut, das sich messen lassen soll an renommierten internationalen Forschungseinrichtungen in den USA und in Großbritannien. 

Aufgabe des  Instituts sei es, die Digitalisierung besser zu verstehen und zum Wohle der Gesellschaft nutzbar zu machen. Hierzu sei eine intensive interdisziplinäre Erforschung von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Aspekten der Digitalisierung auf der Grundlage eines profunden Verständnisses der technologischen Entwicklungen erforderlich. 

Wolfgang Nejdl, Professor an der Leibniz-Universität in Hannover, treibt die Bewerbung um den Sitz des Instituts mit voran. Ihm schwebt neben der Forschung auch vor, neue Technologien zu entwickeln, die beispielsweise „Fake News“ in sozialen Netzwerken erkennen oder Hilfsorganisationen besser vernetzen können, sagte Nejdl dem Norddeutschen Rundfunk. Er glaubt, daß Hannover am Ende die Nase vorn haben könnte: „Unsere Chancen stehen gut“, sagte er der Bild. Die Cebit sei schließlich seit 1986 Leuchtturm der IT-Branche. Ein Besuch in Hannover sei für die Unternehmen Pflicht, ebenso für viele Prominente und Staatsgäste. Als weitere Gründe für Hannover als „Internet-Hauptstadt“ listete die Bild-Zeitung auch den Hauptsitz des Heise-Verlages auf. Dieser liefere mit ct und Heise Online die wichtigsten Nachrichten für Millionen IT- und Computer-Experten. 

Zuversichtlich zeigt man sich auch in der bayerischen Landeshauptstadt. Dort kommt die Bewerbung im Gegensatz zu dem niedersächsischen Pendant mehr wissenschaftlich und weniger ideologisch daher. „Bayern investiert massiv in den digitalen Aufbruch. Wir verfügen bereits über eine umfassende Zukunftsstrategie, um die Chancen der Digitalisierung optimal nutzen zu können. Bayern bietet sehr gute Voraussetzungen, um die Forschung zur Digitalisierung national wie international voranzubringen“, sagte Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle  von der CSU. Der Standort München biete dabei aufgrund der Dichte an Forschungseinrichtungen und der Nähe zu führenden IT-Unternehmen sehr gute Bedingungen. Das Internet-Institut soll eine eigenständig sichtbare Einrichtung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sein. So sei es möglich, Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Bayern einzubinden.

Betont wissenschaftlich gestaltet sich auch die Bewerbung aus Karlsruhe. „Den digitalen Wandel zu gestalten ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit“, sagt der Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) Holger Hanselka. „Smart Grid, Industrie 4.0 und autonomes Fahren sind zentrale Forschungsthemen des KIT. Dabei geht es nicht nur um die Technik, sondern auch um die nicht-technischen Folgen des Wandels, damit diese frühzeitig in Innovationsprozesse einfließen.“ Mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse verfüge das KIT über eine international sichtbare Einrichtung, welche durch geistes- und sozialwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Forschung optimal ergänzt werde, betont Hanselka. 

Doch gerade in Baden-Würrtemberg zogen Mitte Mai dunkle Wolken auf. Die SPD-Hochschulexpertin Gabi Rolland, so die Stuttgarter Zeitung (StZ), erachte es als „großes Versäumnis der Wissenschaftsministerin“, diese Bewerbung des KIT nicht zur Chefsache gemacht zu haben. Jeder wüßte doch, daß „solche Entscheidungen ‘maßgeblich auch politischer Natur’ seien. Bei der Forschung zur Digitalisierung seien „Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen – allesamt Mitbewerber – dem Südwesten weit voraus“, zitiert das Blatt die 53jährige. „Das zögerliche Verhalten der Landesregierung ist nicht nachvollziehbar und zeigt einmal mehr ihren halbherzigen Umgang mit dem Zukunftsthema Digitalisierung.“  

Auch FDP-Wissenschaftsexperte Nico Weinmann sei besorgt, so die StZ weiter. Für den Liberalen stehe nicht nur die millionenschwere Förderung, sondern auch die weitere Stärkung des Innovationsstandortes Karlsruhe auf dem Spiel. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die ebenfalls grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hätten es „verschlafen“, das KIT ausreichend zu unterstützen, habe Weinmann moniert. Das Staatsministerium habe dagegen erklärt, die Landesregierung unterstütze den Antrag aus Karlsruhe „nachdrücklich“.

NRW will Hotspot-Status weiter ausbauen

An der Ruhr-Universität in Bochum hat man mit Hilfe der Landesregierung unterdessen ein eigenes Institut gegründet, das die Bewerbung vorantreiben soll. Das zuständige Ministerium hat hierfür eine Förderung von rund drei Millionen Euro für zunächst drei Jahre bewilligt. „Gerade die Wissenschaft in NRW ist in hervorragender Weise geeignet, genau jene wichtigen Lösungen zu erarbeiten, die die Digitalisierung vorantreiben und den damit verbundenen Wandel ganz im Sinne der Menschen positiv gestalten“, erklärte Wissenschaftsministerin Svenja Schulze. Mit dem von der Ruhr-Universität Bochum, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie dem Grimme-Institut (Marl) geförderten Center for Advanced Internet Studies (CAIS) werde die NRW-Forschungslandschaft um eine zentrale Adresse für kreative und kooperative Forschungsvorhaben internationaler Forschergruppen erweitert. 

„Was das Internet mit uns, unseren Beziehungen und unserer Kommunikation, mit der Demokratie, der Kultur und der Gesellschaft macht, werden Spitzenforscher aus dem In- und Ausland künftig in Bochum ergründen. Und das sollen sie erklärtermaßen nicht im Elfenbeinturm tun“, heißt es in einer Mitteilung zur Bewerbung. 

Michael Baurmann macht aus seinen Absichten gar keinen Hehl. Damit, sagte Michael Baurmann, der wissenschaftliche Direktor des CAIS, „könnte NRW seinen Status als Hotspot der Internetforschung weiter ausbauen.“ Im Erfolgsfall würde das CAIS einen wichtigen Bestandteil des Deutschen Internet-Instituts bilden. „Das Projekt, daß man das Internet benutzt, um demokratische Partizipation zu fördern, ist nach wie vor auf der Tagesordnung“, erklärte er in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk. 

Inwieweit es seinen Mitarbeitern und ihm um eine Weiterentwicklung des Netzes oder aber um eine bessere Kontrolle geht, läßt er offen: „Wir sind momentan doch sehr skeptisch, zu Recht skeptisch über bestimmte Entwicklungen im Internet, aber wir sollten darüber nicht vergessen, daß wir das Internet alltäglich nutzen ohne Probleme und daß wir alle damit leben und auch daran gewöhnt sind, von dem Internet zu profitieren.“ Probleme wie „Hate Speech“ oder „Fake News“ dürften nicht dazu führen, daß man vergesse, daß „das Glas auch halb voll“ sei. 

Halb voll? Halb leer? In die vollen geht das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB). Mit ihm im Boot ist ein interdisziplinäres Konsortium aus den Berliner Universitäten – die Freie, Humboldt- und Technische Universität sowie die Universität der Künste Berlin (UdK) –, der Universität Potsdam und dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS).

Laut WZB-Projektleiterin Jeanette Hofmann will das Konsortium den „grundlegenden Wandel der Gesellschaft begleiten und zugleich die vorhandenen Gestaltungsspielräume deutlich“ machen. In erster Linie, so die Leiterin der WZB-Projektgruppe Politikfeld, soll das Institut zur „Stärkung der Teilhabe und der demokratischen Selbstbestimmung in der vernetzten Gesellschaft“ beitragen. 

UdK-Professorin Gesche Joost vom Berliner Partnerverbund macht aus ihren Interressen keinen Hehl. Gegenüber dem Wirtschafts- und Technologie-Magazin Wired plädierte sie unter anderem für mehr Netzkompetenz in der Politik. Entsprechend lobte sie  Justizminister Heiko Maas, da er Facebook zu einem härteren Vorgehen gegen Hate Speech verpflichtet habe. Diese Verordnung, so die Internetbotschafterin der Bundesregierung für die Europäische Kommission, sei „sehr wichtig“, da sie „zumindest schon mal festlegt, daß sich Unternehmen beim Datenschutz an die Gesetze der Länder halten“ müssen, in denen sie aktiv seien. Endlich gebe es eine „einheitliche Regelung innerhalb der EU statt Einzelregelungen für jedes Land“. Google werde „in die Mangel genommen, Facebook für das zu zögerliche Löschen von Hate Speech angegriffen“. Man sehe schon: „Die Politik nimmt Fahrt auf, gerade auf europäischer Ebene.“