© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Lesereinspruch

Falscher Anwalt

Zu: „Zur Jagd freigegeben“ von Thorsten Hinz (JF 20/17)

Niemand vermag die gesellschaftlichen Zustände und Abgründe Deutschlands so glänzend zu analysieren wie Thorsten Hinz. Um so enttäuschender ist es, daß er sich hier – argumentativ zweifellos beeindruckend – zum feuilletonistischen Anwalt von Xavier Naidoo macht, diesem verschwörungstheoretischen deutschen Soulmaster mit Jammerstimme. Dessen Band, die Söhne Mannheims, erklärt mit ihren neuen Titeln wie „Der deutsche Michel“, „Neue Menschen“ oder dem zu Recht skandalisierten „Marionetten“ die Abgeordneten des Bundestages zu Volksverrätern, selbst wenn Naidoo sich hier auf ein „man“ beruft, von dem er sich – bezeichnenderweise – an keiner Stelle distanziert. Dies zeigt sich unverhohlen an späterer Stelle, wo er sich selbst in das Subjekt eines Lynchmobs hineinphantasiert. Naidoos enervierender Soulpop kommt als krude Verschwörungstheorie daher, wie sie bei Pegida oder Reichsbürgern üblich ist. Auch vergißt Hinz in seiner Liedtext-Analyse die vom Trump-Lager lancierte Lüge angeblicher Kinderpornographie („Pizzagate“) – das paßte augenscheinlich nicht ins Bild.

Christoph Drühl, Berlin