© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Störmanöver auf See
Migration über das Mittelmeer: Deutsche Aktivisten tummeln sich vor Libyens Küste. Ihre Arbeit: die Mauern Europas einreißen
Verena Rosenkranz

Als „junge Europäer_innen“  können und wollen die Aktivisten  der Aktion „Jugend  rettet“ den Status quo der europäischen Asylpolitik nicht hinnehmen. Sie fordern von den politischen Akteuren, die Notsituation der Menschen zu entschärfen und praktische Hilfe zu leisten. Ein Seenotrettungsprogramm und die Entkriminalisierung von „Flucht und flüchtenden Menschen“ stünden dabei im Mittelpunkt. Doch statt dessen würden die „Menschen mit neugezogenen Mauern von der ‘Festung Europa’ ferngehalten und in ihrer Mobilität eingeschränkt.“ 

Alle Fäden laufen in Berlin zusammen. Hier arbeitet das „Kernteam Tag für Tag daran, die Missionen zu planen, den Verein bekannter zu machen und unsere Unterstützer_innen untereinander zu vernetzen.“

Für „Jugend rettet“ ist es eine Selbstverständlichkeit, ausreisewillige Afrikaner und Zuwanderer aus dem Nahen Osten sogar direkt vor der libyschen Küste abzuholen. Während die Operation EUNAVFOR MED Sophia, als ein Teil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union, fünf Rettungsschiffe bereitstellt, sticht die Crew der „Juventa“ ohne Auftrag in See. Sie kreuzt nicht allein vor der libyschen Küste.

Deutsche Spendenfreude ermöglicht erst die Arbeit 

Mit dabei die beiden Schiffe („Seefuchs“ und „Sea-Eye“) der privaten Seenotrettungs-Organisation Sea-Eye (Regensburg), der ehemalige Rettungskreuzer „Minden“ („Lifeboat“, Hamburg), die Yacht Phoenix des US-Unternehmers Christopher Catrambone („Migrant Offshore Aid Station“; JF 23/15), die Schiffe „Aquarius“ und „Prudence“ von Ärzte ohne Grenzen (Berlin), die katalanische Aktion „Proactiva Open Arms“ sowie „Sea Watch“ mit ihrer „Sea-Watch 1“ und „Sea-Watch 2“. Freudig hatten die Berliner Aktivisten um Geschäftsführer Axel Grafmanns im Frühjahr 2016 verkündet: „Mit euren Spenden, unseren Erfahrungen und vielen Freiwilligen konnten wir die Clupea kaufen und zur Sea-Watch 2 umbauen. Am 18. März wurde sie in Hamburg getauft.“  

Ähnlich klingt es bei „Jugend rettet“. Mit Unterstützung etwa vom Navigationsunternehmen Garmin, dem „Netzwerk für politische Förderfonds“ oder dem seinerseits durch Jugendhilfe geförderten „Bundesverband Junger Medienmacher“ hätten die Vereinsmitglieder ein eigenes Schiff kaufen, umrüsten und so regelmäßig der libyschen Küstenwache zuvorkommen können. Diese ist rechtlich für die Rettung von in Seenot geratenen Migranten entlang ihrer 1.700 Kilometer langen Küste verantwortlich, solange sie sich in deren Hoheitsgewässern (12-Meilen-Zone) befinden.

 „Die Zustände, die dort herrschen, wurden uns von Geflüchteten als menschenunwürdig und grausam beschrieben“, rechtfertigt die Organisation ihr Eingreifen im Mittelmeer. Über 6.500 Migranten brachte ihr Schiff „Juventa“ allein im Jahr 2016 sicher auf das europäische Festland. „Seit Anfang März 2017 sind wir wieder vor der libyschen Küste aktiv. Unsere „Juventa“ ist somit konkretes Handlungsfeld und Symbol“, verlautbaren die Protagonisten kämpferisch.

Die „meisten Rettungen“, so die Aktivisten, fänden innerhalb der 24-Meilenzone, der sogenannten Anschlußzone, die an die Hoheitsgewässer grenzt, statt. Auf Anweisung des Maritime Rescue Coordination Centre Rom und in Absprache mit anderen Akteuren gebe man die „Geretteten nach einiger Zeit an ein größeres Schiff ab, das dann nach Italien“ fahre.

Vor allem Italien beäugt die Aktionen kritisch

Dort sorgte dann aber Ende April  der italienische Staatsanwalt Carmelo Zuccaro mit seiner Aussage, die „Nothelfer“ kooperierten mit den Schleppern, für Schlagzeilen. „Wir haben Beweise dafür, daß es direkte Kontakte zwischen einigen Nichtregierungsorganisationen und Schleppern in Libyen gibt“, erklärte Zuccaro gegenüber der Tageszeitung La Stampa. Man habe Telefonanrufe aus Libyen bei bestimmten Nichtregierungsorganisationen registriert. Zudem würden Migranten durch Lichtsignale in Richtung der Schiffe der jeweiligen Organisationen gelenkt. Transponder zur Ortung der Schiffe würden dann ausgeschaltet. Weiter gebe es Ermittlungen, ob gewisse linke Nichtregierungsorganisationen sogar von libyschen Schlepperbanden finanziert würden. Die Vorwürfe richten sich gegen kleinere, meist deutsche Organisationen, bestätigte Zuccaro.

Schlepperbanden rund um das Mittelmeer würden Nichtregierungsorganisationen finanzieren, damit deren Kunden überhaupt in Europa ankommen, berichtete etwa der Nachrichtensender Rai 3 von den Vermutungen des Juristen. „Die Angelegenheit könnte sogar noch beunruhigender sein“, sagte er in Hinblick auf eine mögliche Absicht der Hilfsorganisationen und Schlepperbanden, so „die italienische Wirtschaft zu destabilisieren, um daraus Vorteile zu ziehen“. Weil es ausreichend Hinweise für direkte Kontakte zwischen den Organisationen und Schleppern gebe, ließ er ein Ermittlungsverfahren einleiten.  

Der in den Fokus geratene Verein „Jugend Rettet“ wies die Anschuldigungen   als „blanken Zynismus“ zurück. Parallel dazu verwies er auf das Transparenzsiegel, das er als Verein erhalten habe.

Einen ähnlichen Standpunkt nahm Sea-Watch-Geschäftsführer Grafmanns bei einer nachfolgenden Anhörung über den Beitrag im italienischen Senat ein. Sea Watch sei ein gemeinnütziger Verein und unterliege als solcher dem deutschen Recht. Dieser Status werde „nicht leichtfertig vergeben“, so der Experte für Mediation, Weiterbildung, Konflikte und Autor des Buches „Konflikte und Mediation innerhalb zivilgesellschaftlicher Bündnisse: Am Beispiel von ‘Brandenburg Nazifrei’“.

95 Prozent der Spenden kämen aus Deutschland, fünf Prozent  aus anderen Ländern. Libyen sei nicht dabei, betonte der Brandenburger und unterstrich: „Wir haben 2015 und 2016 über eine Million Euro an Spenden sammeln können. Wir sind 100 Prozent spendenfinanziert und erhalten keine staatliche Unterstützung. Um Ihnen eine Idee zu vermitteln, wer das ist: das sind beispielsweise Kirchgemeinden, kleinere Unternehmen, Privatpersonen oder Eltern-Kind-Initiativen in Kitas und Schulen.“

Den Vorwurf, die Rettungsaktionen seien eine Einladung an die Migranten, weist er mit den Worten zurück: „Sollen wir die Menschen ersaufen lassen und einfach zuschauen?“

Dieser Meinung ist auch das Parteiratsmitglied der Grünen, Erik Marquardt, der nur wenig später aufbrach, um beim großen Treffen im Mittelmeer dabeizusein und eine ähnliche Organisation, „Sea Eye“, die in Regensburg sogar von der IG Metall gesponsert und beworben wird, zu unterstützen. 

Marquardt kündigte in seinem Twitter-Kanal während seines Einsatzes auf hoher See an, sich ab sofort an diversen Seenotrettungen beteiligen zu wollen. Auch die Hamburger Grünen-Chefin Anna Gallina beteiligt sich nach Angaben von „Sea-Eye“ an einer Flüchtlingshelfer-Aktion vor der libyschen Küste.

Dabei kommt es bei den waghalsigen Manövern immer wieder zu Streit mit der libyschen Küstenwache. Nur knapp schrammten Anfang Mai die „Sea-Watch 2“ und ein Patrouillenboot aneinander vorbei. Im Mittelpunkt des Streites standen 350 Migranten auf ihrem Weg nach Europa. Während die Küstenwache die Migranten in Asylzentren nach Afrika zurückbringen wollte, stellte sich „Sea Watch“ dagegen und kämpfte regelrecht um die Weiterleitung der Einwanderer.

Ein Sprecher der Küstenwache, Ajub Kassem, rechtfertigte die Rückholaktion seiner Marine mit geltendem Recht und bestätigte, daß die Organisation die Menschen auf ihrem Holzboot, das sich in libyschen Hoheitsgewässern befunden habe, selber aufnehmen wollte, weil es ihnen zufolge in Libyen nicht sicher sei. Ein Video der Aktion ist auch über den Sea-Watch-Twitterauftritt besagter Organisation zu finden und wird von empörten Zeilen begleitet: „Dieses EU-finanzierte Patrouillenboot der libyschen Marine hat fast unser ziviles Rettungsschiff gerammt.“

Aktionen der Identitären ging ins Leere 

Vor allem den Vorwurf, das Manöver der „Sea-Watch 2“ habe in libyschen Hoheitsgewässern stattgefunden, weisen die Berliner Aktivisten von sich: „Unsere Position war 33°08.9’N 012°28.9’E. Das sind rund 20 Seemeilen vor der Küste, also weit entfernt von den 12 Seemeilen, in denen Libyen Hoheitsrechte hat.“ Süffisant fragen sie im Anschluß, „welche Ausbildung die libyschen Marineoffiziere im Seerecht erhalten haben.“

 Laut Geschäftsführer Axel Grafmanns wurde „Sea-Watch 2“ am 10. Mai Zeuge einer illegalen Rückführung von mehreren hundert Migranten in libysche Gewässer. Der Kapitän habe dann von der Rettungsleitstelle in Rom ein Mandat erhalten, den Insassen des Holzbootes zu Hilfe zu kommen. Bei Ankunft eines Patrouillenschiffs aus Libyen habe sich die Rettungscrew auf dem Schnellboot zurückgezogen und lediglich das Geschehen beobachtet. „Wenn tatsächlich die EU die libysche Küstenwache zu illegalen Aktionen anstiftet, ist das ein Skandal“, unterstrich  Grafmanns.

Zu dem großen Hallo im Mittelmeer hat sich seit einigen Wochen eine weitere Jugendorganisation gesellt. Sie fischt allerdings nicht nach Zuwanderern, sondern sucht internationale Aufmerksamkeit im Kampf gegen den Schleppertourismus und illegale Zuwanderung. 

Aktivisten der Identitären Bewegung versuchen seit Mitte Mai, die Schiffe der angeblichen Hilfsorganisationen am Auslaufen zu hindern. So auch am 12. Mai, als ein Schiff der Organisation „SOS Mediterrane“ gegen 22 Uhr auslaufen wollte und von Leuchtfeuern und dem Tranparent „No Way“ der Aktivisten begleitet wurde. Die Küstenwache war schnell zur Stelle, drängte das Boot ab und nahm die Identitären kurzzeitig in Gewahrsam. Zweierlei Recht für Aktivisten.





EUNAVFOR MED Sophia

Die Operation EUNAVFOR MED Sophia ist Teil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Seit Juni 2015 beteiligt sich Deutschland durchgehend an der  Operation Sophia. Kernauftrag der Einheiten des Verbandes ist, zur Aufklärung von Schleusernetzwerken auf der Zentralen Mittelmeerroute beizutragen. Sie dürfen dazu seit Beginn der Phase 2 des Einsatzes am 7. Oktober 2015 auf hoher See gegen Boote vorgehen, die von Schleppern genutzt werden. Die Soldaten retten außerdem Tausende Migranten aus Seenot. Derzeit ist der Tender „Rhein“ dem Verband unterstellt. An Bord des Tenders ist ein Boarding-Team der litauischen Armee eingesetzt. Die Seenotleitstelle (Maritime Rescue Coordination Centre, MRCC) Rom koordiniert die Rettungseinsätze. Da die Einheiten gemäß EU-Beschluß und dem Mandat des Deutschen Bundestages ausschließlich außerhalb der 12-Seemeilen-Grenze Libyens operieren, können sie die Hoheitsgewässer innerhalb der 12-Seemeilen-Grenze und den Küstenstreifen nach eigenen Angaben nur eingeschränkt aufklären.