© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Paranoia und zäheste Mythen
Bundesdeutsche Sozialwissenschaftler arbeiten sich mit großer Passion am Phänomen „Rechtspopulismus“ ab
Frank Fiebich

Das in der Flüchtlingskrise offenbar gewordene Elend der bundesdeutschen Politik hat viel mit dem Versagen ihrer akademischen Berater zu tun. Auf diese Idee kommt schnell, wer Zeit und Nerven opfert, um sozialwissenschaftliche Elaborate zu den Themen „Migration, Rechtspopulismus, Rechtsextremismus“ zu sichten.

Dabei garantiert das kinderleichte Bauprinzip höchste Produktivität. Zumal bei Veteranen des Gewerbes wie dem im Unruhestand lebenden Berliner Politologen Hajo Funke (Jahrgang 1944) und dem vor der Emeritierung stehenden Hans-Gerd Jaschke, die schließlich ihr gesamtes Forscherleben drangaben, um dem Rechtsextremismus zu wehren. Als „guter Mensch von Sebnitz“ ist Funke vor bald zwanzig Jahren sogar in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen, wenngleich im Kontext dieses frühen „Fake News“-Skandals so unrühmlich wie Baron Guttenberg. Geschadet hat es weder ihm noch seinen Mitkämpfern, die weiterhin als „Rechtsextremismusexperten“ multimedial präsent sind. 

Doch zurück zum Bauprinzip. Das besteht darin, ein politisches Phänomen historisch, ökonomisch und sozial zu isolieren. Masseneinwanderung hat dann nichts mit „Rechtspopulismus“ zu tun. Was anhand der mit Pawlowscher Zuverlässigkeit zitierten Standardbeispiele Ungarn und Polen leicht zu beweisen ist. Dort gebe es keine Fremden, trotzdem aber „Fremdenfeinde“. „Rechtspopulismus“ und, wie selbstredend zu unterstellen ist, dessen Derivate „Rechtsextremismus“, „Ausländerfeindlichkeit“ samt „Islamophobie“, treten mithin auf wie eine Grippeepidemie. Oder sind quasi angeboren, wie der Flensburger Sozialpsychologe Harald Welzer behauptet: „Studien zur Verbreitung menschenfeindlicher Orientierungen zeigen seit Jahrzehnten, daß sie bei einem Fünftel der Bevölkerung verbreitet und kaum aufklärbar sind.“ Menschen, so weiß der Propagandist einer „Offenen Gesellschaft“ (JF 42/16), „mögen ihre Vorurteile“ (zeitzeichen, 2/2017).

Ganz raus aus der Politik und hin zur Psychiatrie bewegt sich auch der hilflose Anti-Populismus der Politologen Christoph Kopke (Düsseldorf) und Alexander Lorenz (Potsdam). Der Widerstand gegen die „Flüchtlingspolitik der Bundesregierung“ sei unzulässig, denn er entspringe einer „Paranoia“ vom „angeblichen Volkstod“ und dem „Aussterben des deutschen Volkes“. Wenn die AfD jetzt „herbeiphantasiert“, die Aufnahme von „Geflüchteten“ sei Teil einer Strategie der „Umvolkung“ und des „großen Austausches“, der das deutsche Volk durch eine, wie es Alexander Gauland formuliere, „aus allen Teilen der Welt herbeigekommene Bevölkerung“ ersetzen solle, dann folge diese Argumentation lediglich einem der „zähesten Mythen“, den die extreme Rechte seit Jahrzehnten pflege. 

Witzigerweise publizieren Kopke und Lorenz ihre irgendwo zwischen Halluzination und Schizophrenie angesiedelte Ferndiagnose im Themenheft „Rechtspopulismus“ der Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik (vorgänge, 4/2016). Dort motiviert die Redaktion das Thema mit dem Hinweis, man müsse Gegenöffentlichkeit schaffen, um den Rechten „Fakten“ entgegenzusetzen. Was nicht nur Kopke und Lorenz noch üben sollten, etwa durch simple Internet-Recherche auf den Seiten der Demographie-Referate von UN und EU, die ihren Generalplan West zur Neubesiedlung Europas vor niemandem mehr geheimhalten wollen (Friedrike Beck, JF 48/16). 

„Rechtliche und finanzielle Hebel“ gegen Rechts

Auch der Berliner Kampf-gegen-Rechts-Veteran Jaschke, habilitiert über „Streitbare Demokratie“, seit zwanzig Jahren an Fachschulen der Polizei tätig, verliert in seinem Beitrag über die Ursachen der AfD-Wahlerfolge kein Wort über den konkreten politischen Kontext, der sie ermöglichte. Stattdessen fabuliert er über Parallelen zum jeweils temporären Aufstieg von NPD, Republikanern oder Schill-Partei und begründet so seine Zweifel an der festen AfD-Etablierung im bundesdeutschen Parteiensystem. Zumal ihre auf die „rechtsextreme Szene ausgeübte Magnetfunktion“ zum Scheitern führen könne. Ihre Entwicklung sei aber noch offen, weiß der Meisteranalytiker.

Sein Kollege Jörg Ukrow – als einziger unter sieben Beiträgern – fremdelt hingegen noch mit dem Postfaktischen und meint, mit Blick auf den „Rechtspopulismus“ europaweit, das „alarmierende“ Aufkommen der Rechten könnte etwas mit der sozioökonomischen Ungleichheit und der Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten zu tun haben, eventuell auch mit Fragen der Sicherheit. Oder, wie Welzer orakelt, mit der „Fahrlässigkeit der Eliten“, mit der sie unter der stolzen Fahne des „aufgeklärten Liberalismus“ global operieren. Probleme, bei denen für Ukrow unterm Strich aber kein Konnex mit der „Flüchtlingskrise“ besteht. Losgelöst davon lasse sich der „Durchmarsch der Rechtspopulisten“ deswegen leicht mit „rechtlichen und finanziellen Hebeln“ aufhalten.

Ab und an sollten diese Bewunderer des „Westens“ auch mal Studien ihrer realitätstüchtigeren angelsächsischen Fachgenossen lesen. Einige sind sogar ins Deutsche übersetzt. Etwa die letzte umfangreiche Arbeit der an der Columbia-Universität lehrenden Globalisierungstheoretikerin Saskia Sassen: „Ausgrenzungen. Brutalität und Komplexität in der globalen Wirtschaft“ (Frankfurt/M. 2015). „Räuberische Formationen“, wie sie das Geflecht von Finanzkapital, Weltbank, Konzernen und willfährigen Regierungen nennt, treiben die Völker gegenwärtig in eine „neue Phase des Überlebenskampfes“. Deutsche, an schweren Wahrnehmungsstörungen leidende Sozialwissenschaftsdarsteller beschäftigen sich derweil mit kleinen braunen Männchen.