© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Keine lange Vorwarnzeit
Bundeswehr-Studie fordert Schutz vor kommenden Sturzfluten / Mehr Versickerungs- und Rückhaltebecken nötig
Paul Leonhard

Nur ein Drittel der hessischen Wohngebäude ist ausreichend gegen Wetterextreme versichert. Deshalb starteten vorige Woche die Landesregierung, die Verbraucherzentrale Hessen und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) eine Aufklärungskampagne: „Jedes Haus kann von Überschwemmungen, Starkregen und anderen Naturgewalten betroffen sein“, erklärte GDV-Experte Bernhard Gause.

Was nach einer Marketingkampagne der Assekuranz klingt, ist aber überfällig: Im Sommer versinken immer häufiger Straßen, Keller und Tiefgaragen im Hochwasser. Betroffen sind dabei auch Städte wie Hamburg, Berlin, München und Stuttgart, dicht besiedelte Bereiche Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens und Gemeinden im Alpenvorland. Das ist das Ergebnis der Studie „Urbane Sturzfluten. Hintergründe, Risiken, Vorsorgemaßnahmen“, die das Institut für Wasserwesen an der Universität der Bundeswehr München unter Federführung von Wolfgang Günthert erstellt hat.

„Multifunktionale Flächennutzung“

Der Vizepräsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) fordert ein besseres Management von Kommunen, Ländern und Bund beim Überflutungsschutz sowie eine gründliche Analyse von Gefährdungen mit einer aktiven Risikokommunikation. Am wenigsten sei den privaten Grundstückseigentümern das gewachsene Überflutungrisiko und das hohe Schadenspotential durch Starkregenfälle bewußt.

Während es bei Flußhochwasser aus großen Einzugsgebieten lange Vorwarnzeiten gibt, die den Betroffenen ermöglichen, sich und wertvolle Güter zu schützen, fehlen bei extremen Niederschlägen mit schnellem Abfluß Prognosen und Vorwarnzeiten. Starkregen von kurzer Zeit und hoher Intensität kann jederzeit und überall auftreten. So wurden Anfang 2016 bei Landshut innerhalb einer Stunde 67 Liter Regen pro Quadratmeter registriert. Der Beseitigung von Niederschlagswasser hätten sich Kommunen und Grundstückseigentümer bisher zuwenig angenommen. Während die Schmutzwasserbeseitigung aus hygienischen Gründen unstrittig sei, gebe es bei der Niederschlagswasserbehandlung Probleme. Die Kanalisation sei für 50 bis 100 Jahre, aber nicht für extreme Niederschlagsereignisse ausgelegt. Überdies stelle sie kein flexibles System dar, weswegen es Anpassungsmaßnahmen an künftige Starkregenereignisse bedürfe.

Die Studie präferiert eine „multifunktionale Flächennutzung“, welche auch bei nicht eintreffenden Prognosen zur Niederschlagsentwicklung keine negativen Folgen hat. Dabei werden Straßen, Parkplätze, Sportanlagen und Grünflächen oder ungenutzte Räume in Gebäuden zur gezielten Ableitung des Überflutungswassers genutzt, weil diese das Wasser erst mit Verzögerung abgegen oder es dort verdunstet. Angemahnt wird ein Regenwassermanagement mit Entsiegelung und Abkopplung von Flächen vom Kanalnetz, die Errichtung von Versickerungs- und Rückhaltebecken sowie das Anlegen von Gründächern.

„Anhand von Überflutungsnachweisen unter Einbeziehung der Oberfläche muß ermittelt werden, an welchen Stellen des Entwässerungssystems Abwasser austritt, wohin dieses fließt und welche Einrichtungen gefährdet sind“, schreibt Günthert. Mitunter könne schon eine Schwelle vor dem Kellerabgang helfen, teure Schäden zu vermeiden.

Bundeswehr-Studie „Urbane Sturzfluten“: www.starkregen-ews.de