© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Der Flaneur
„Ruhe! ... Und Action!“
Paul Leonhard

Los, schnell jetzt und leise!“ Der Mann im Tarnfleck winkt mir und dem Grüppchen Passanten zu, dem er bisher energisch den Weg versperrt hat. „Und immer eng an der Hauswand entlang, damit man euch nicht sieht“, ruft er uns noch hinterher, während wir den Fassaden folgend zu unseren Wohnungen, Pensionen oder Arbeitsstellen hasten. Die Soldaten auf dem kleinen röchelnden Lastwagen schauen unter ihren Stahlhelmen gleichgültig, nur ein Dicker grinst hämisch.

Als die Bedienung den Kuchen serviert, wird der Mann erschossen – mindestens zehnmal.

Von der anderen Straße tuckert ein Beiwagenkrad in Richtung Kreuzung und stoppt. Ihm folgt ein halbes Dutzend Wehrmachtssoldaten zu Fuß. Plötzlich ruft ein unscheinbarer Zivilist „Action!“ Die Soldaten heben ihre Karabiner und Maschinenpistolen und rennen los. Der Viertonner kommt schlitternd vor einem Haus zum Stehen, die Uniformierten springen von der Ladefläche. „Aus!“ ruft der Zivilist.

Es ist alles nur ein Film. Hollywood & Co. toben sich mal wieder in einer der wenigen von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verschonten Städte aus. Die Ehrfurcht, Drehort sein zu dürfen, ist in der Kleinstadt so groß, daß sich das öffentliche Leben den Stars und vor allem Sternchen unterordnet. Dafür sind Einheimische wie Touristen ganz nah am Geschehen dran. Ich sitze in einem Straßencafé und sehe zu, wie eine Gruppe Schauspieler einen blutüberströmten Mann aus einem Haus führt. Anschließend soll er mitten auf dem Markt erschossen werden. Ich nippe an meinem Kaffee. Es fehlt noch ein wenig Zucker. Während das Erschießungskommando auf den inzwischen Nackten anlegt, löst sich der süße Würfel auf. Der Mann fällt zu Boden.

Am Nachbartisch erzählt eine ältere Frau, daß sie in einer anderen Szene als Komparsin mitspielen durfte. Als die Bedienung den Kuchen serviert, wird der Mann erneut erschossen – mindestens zehnmal in der nächsten Stunde. Ich zahle. Erschießungen können langweilig werden.