© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

„Unzulässig eingeschränkt“
AfD: In Stuttgart klagt der Abgeordnete Heinrich Fiechtner gegen seine eigene Fraktion / „Redeverbot im Landtag“
Michael Paulwitz

Für Verfassungsjuristen haben die Auseinandersetzungen in der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion einen neuen Leckerbissen bereitgestellt. Nachdem er monatelang von den Kollegen kaltgestellt war, klagt der Göppinger Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes gegen das ihm auferlegte Redeverbot im Landtag und gegen seine Abberufung aus dem Ausschuß für Inneres, Migration und Digitalisierung und aus dem NSU-Untersuchungsausschuß. 

Die Sanktionen waren in den Fraktionssitzungen vom 20. Dezember 2016 und 31. Januar 2017 gegen Fiechtner verhängt worden. Zuvor hatte der Mediziner in einer Plenardebatte seiner fachlichen Überzeugung Vorrang vor der Linie der Fraktionsmehrheit gegeben und sich für die Einführung einer „Gesundheitskarte“ für Asylbewerber ausgesprochen. Zudem war er wegen seiner öffentlichen Kritik an einem Beschluß, die Landesgelder für die NS-Gedenkstätte Gurs zu streichen, „abgemahnt“ worden; die Fraktion entschied sich nach Angaben ihres Vorsitzenden Jörg Meuthen schließlich anders. Vorgeworfen wurde Fiechtner schließlich, sich auch nach Aufforderung nicht von seinem persönlichen Mitarbeiter getrennt zu haben, der Kenntnis vom beabsichtigten Fraktionsaustritt der inzwischen fraktionslosen Abgeordneten Claudia Martin gehabt haben solle.

Abgeordnete verläßt   Fraktion in Magdeburg

Die Klageschrift kritisiert, Fiecht-ner werde durch diese Sanktionen in seinen Rechten als freier Abgeordneter unzulässig eingeschränkt. Die Fraktion setze ihn wegen abweichender Meinungen unter Druck und entziehe ihm mit Rederecht und Ausschußmitgliedschaften elementare Informations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in Wahrnehmung seines Mandats. Ferner argumentiert Fiechtner mit Formfehlern bei den beanstandeten Beschlüssen, die zudem freihändig ohne Rechtsgrundlage in der Fraktionssatzung „erfunden“ worden seien. Auf seinen diesbezüglichen Protest habe man ihm beschieden, er solle halt klagen, erklärt Fiechtner gegenüber der JUNGEN FREIHEIT – „daran habe ich mich gehalten“.

Juristisch wirft die Klage tatsächlich grundsätzliche und bislang ungeklärte Fragen auf. Dazu gehört auch, ob eine Fraktion einen Abgeordneten aus einem Parlamentsausschuß einfach abziehen kann, in den er vom gesamten Landtag auf Vorschlag seiner Fraktion gewählt und nicht, wie im Bundestag üblich, von der Fraktion entsandt wurde.

Organstreitigkeiten seien in Baden-Württemberg „so selten wie weiße Raben“, freut sich Fiechtners Anwalt, der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler – auch die Wahl des Rechtsbeistands entbehrt nicht der Pikanterie. Die AfD schreibe Rechtsgeschichte, folgert Fiechtner, indem sie das Spannungsfeld zwischen Fraktionsdisziplin und freiem Mandat gerichtlich vermessen lasse und damit eine zentrale Frage für das ganze Land kläre – darauf könne die AfD sogar „stolz“ sein.

Fiechtners Fraktionskollegen sehen das zweifellos weniger entspannt und optimistisch. In der AfD-Fraktion ist der eigenwillige Abgeordnete weitgehend isoliert, das Verhältnis zu Fraktionschef Jörg Meuthen, den er in der Gedeon-Affäre und während der Fraktionsspaltung im vergangenen Sommer vehement unterstützt hatte, ist nachhaltig zerrüttet. Die Klageschrift zitiert rüde Wortwechsel aus den Fraktionsprotokollen; man habe sogar diskutiert, ihn von der Polizei aus einer Fraktionssitzung entfernen zu lassen und sich eigenmächtig Zutritt zu Unterlagen in seinem Büro zu verschaffen, beklagt Fiechtner.

Umgekehrt werfen ihm andere in der AfD vor, er sei ein Querulant und folge permanent seinem ausgeprägten Geltungsdrang. Deshalb ist offenbar auch das Verlangen, ihn wegen seiner Klage nun aus der Fraktion zu werfen, nicht besonders ausgeprägt. „Diese Aufmerksamkeit will er doch nur haben“, hört man dann. Am besten sei es, die Sache so tief wie möglich zu hängen.

Daß er es auf einen Fraktionsausschluß anlege, weist Fiechtner ebenso deutlich zurück wie jeden Gedanken an einen „freiwilligen“ Austritt. Er sei nach wie vor überzeugt, seine politischen Anliegen am besten innerhalb der AfD umsetzen zu können, er wehre sich lediglich dagegen, daß man ihn willkürlich faktisch „fraktionslos“ gestellt habe. Er habe die Klage auch nicht übereilt vom Zaun gebrochen, sondern über seinen Rechtsanwalt zunächst die Fraktion zur Rücknahme der nach seiner Auffassung rechtswidrigen Sanktionen aufgefordert und Beistand beim Landtagspräsidium gesucht, dem die Grünen-Politikerin Muhterem Aras vorsteht.

Fiechtners Prozeßbevollmächtigter Reinhard Löffler rechnet mit einer Entscheidung über die beantragte einstweilige Anordnung zur sofortigen Wiedereinsetzung des Abgeordneten in Rederecht und Ausschußmitgliedschaften in vier bis sechs Wochen, jedenfalls „vor der Sommerpause“. Das Hauptsacheverfahren werde wohl erst gegen Jahresende entschieden. Für juristischen Gesprächsstoff im Stuttgarter Landtag ist also über die Sommerpause hinaus gesorgt.

Schrumpfen wird unterdessen die größte AfD-Landtagsfraktion. Am Montag hat die sachsen-anhaltinische Abgeordnete Sarah Sauermann ihren Austritt aus der Fraktion angekündigt. Zwar wolle sie das Wahlprogramm der AfD weiterhin vertreten, teilte die 28jährige direktgewählte Politikerin aus Bitterfeld mit. Eine konstruktive Arbeit in der Fraktion könne sie jedoch nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren.