© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Ein Stratege der einzigen Weltmacht
Nachruf: Der polnischstämmige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski ist 89jährig in Virginia gestorben
Thomas Fasbender

Er war eine Figur, an der sich viele reiben konnten: Zbigniew Brzezinski, Doyen der US-Außenpolitik in den letzten 15 Jahren des Kalten Krieges. Er und der fünf Jahre ältere Henry Kissinger, beide Absolventen des Zentrums für Internationale Politik an der Harvard Universität, verkörperten die letzte Generation europäischer Geostrategen im US-Establishment.

Während Kissinger 1923 in Fürth geboren wurde, kam Brzezinski 1928 in Warschau im zur Welt. Sein im galizischen Solotschiw geborener Vater Tadeusz stammte aus dem polnischen Adel und hatte in Wien und Lemberg Jura studiert. Dessen Erfahrungen als Freiwilliger in den Kriegen gegen die Ukraine und die Sowjetunion 1918/20 dürften mit ausschlaggebend gewesen sein für Brzezinskis strikte Anti-Moskau-Haltung. Das Ende der Zweiten Polnischen Republik erlebte die Familie in Kanada, wo seine Eltern bis zu ihrem Tode lebten. Brzezinskis Ehefrau Emilie war eine Großnichte des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš.

Für Brzezinski, da schlug die kollektive Erinnerung voll durch, war der Kalte Krieg immer auch – Krieg. Anders als bei den US-Geostrategen Hans Morgenthau, Robert Strausz-Hupé, John H. Herz, Herman Kahn und Henry Kissinger, die alle einen jüdischen Hintergrund besaßen, bestimmte das polnische Mißtrauen gegen Deutschland und Rußland bis zum Schluß sein politisches Handeln. Hinzu kam sein tiefsitzender Antikommunismus, Produkt eines adligen und katholischen Selbstbewußtseins. Liberale Gelassenheit gewann Brzezinski erst in späten Jahren. Zuvor war er geprägt von Macht und Machtverhältnissen, für die er ein ausgesprochenes Gespür besaß, nachzulesen bereits in seiner ersten Buchveröffentlichung 1967: „Der Sowjetblock – Einheit und Konflikt“.

Friedliches Engagement statt friedlicher Koexistenz?

Ab 1976 war der US-Demokrat Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter. Es waren herausfordernde Jahre: Ölkrise, die Mullah-Revolution im Iran und die gescheiterte Geiselbefreiung in Teheran, die sowjetische Invasion in Afghanistan. Im Unterschied zur Entspannungspolitik des Gespanns Nixon-Kissinger setzte Brzezinski auf militärische Stärke, Propaganda und die Unterstützung von Dissidenten.

So wird ihm vorgeworfen, durch die massive Unterstützung der Mudschaheddin, die gegen die sowjetischen Invasoren in Afghanistan kämpften, den Siegeszug al-Qaidas und des islamistischen Terrors den Boden bereit zu haben. Brzezinski ist auch der Urheber der NGO- und Regime-Change-Politik der USA. Seine Doktrin des „friedlichen Engagements“, die er dem sowjetischen Verständnis der „friedlichen Koexistenz“ entgegenstellte, sah bewußt die – nicht militärische – Einflußnahme auf die Köpfe der „gegnerischen“ Bevölkerung vor.

Wie sehr Brzezinski sich zeitlebens mit Polen identifizierte, wurde 1989 offenbar, als er für den flammenden Appell, endlich die sowjetische Schuld für das Massaker von Katyn anzuerkennen, stehenden Beifall der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften erhielt. 49 Jahre zuvor hatte der Sowjetgeheimdienst 22.000 polnische Offiziere und Eliteangehörige im Wald von Katyn ermordet und verscharrt. Jahrzehntelang hatte Moskau dies abgestritten. Den Applaus der russischen Akademiker nannte Brzezinski eine historische Rechtfertigung.

Sein Mißtrauen Moskau gegenüber kam mit dem Comeback der russischen Großmacht und der weltanschaulichen Entfremdung zwischen Ost und West erneut zum Tragen. Schon in den 1990er Jahren hatte Brzezinski behauptet, eine unabhängige Ukraine sei die Voraussetzung dafür, daß in Rußland jemals eine Demokratie entstehen könne.

In Deutschland wurde Brzezinski auch wegen seines Buches „Die einzige Weltmacht“ (JF 6/16) zumeist mit Bauchschmerzen rezipiert. Vielen Rechten galt er als Exekutor des amerikanischen Kraken, der unser in seiner Souveränität beschnittenes Vaterland dem US-Machtkalkül unterwarf. Und viele Linke mißbilligten, daß Brzezinski keiner war, der den Weltverbesserern Honig um den Bart schmierte. Knallhart und geradlinig vertrat er seine Positionen. Polen mochte die Wurzel seiner Identität gewesen sein – realisiert hat er seine politische Existenz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die USA waren sein gelobtes Land, dessen Interessen er nach Kräften befördert hat. Zbigniew Brzezinski starb am vergangenen Freitag im Alter von 89 Jahren in Falls Church/Virgina unweit von Washington D.C.