© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Strategische Überlegungen
Infrastrukturausbau: Die chinesische Seidenstraßeninitiative soll Ostasien durch neue Schienenwege mit Europa und Afrika verbinden / Billionenprojekte geplant
Albrecht Rothacher

Mit dem Zug von Berlin oder Düsseldorf nach China fahren? Das gab es bereits. Seit 1904 war das damals deutsche Tsingtau am Gelben Meer direkt mit Mitteleuropa verbunden. Die Bahnfahrt via Schantung-, Ostchinesische und Transsibirische Eisenbahn dauerte allerdings mehr als zwei Wochen.

Die chinesische Seidenstraßeninitiative („one road, one belt“) soll es künftig ermöglichen, nicht nur Peking und Schanghai, sondern auch Lhasa, Saigon oder Singapur auf dem Schienenweg zu erreichen. Im Mai lud Präsident Xi Jinping zum Infrastrukturgipfel nach Peking ein. Eine Billion Dollar sollen in Projekte des eurasischen Kontinentes fließen. Langfristig sollen es vier Billionen werden. Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Alexander Lukaschenko aus Weißrußland und die zentralasiatischen Diktatoren kamen. Die Europäer schickten die dritte Garnitur. Japaner und Inder boykottierten das Ereignis.

Vor zwei Jahren erst als vage Visionn von 140 Milliarden Dollar der chinesisch kontrollierten Asiatischen Infrastrukturentwicklungsbank (AIIB) angekündigt, konkretisieren sich jetzt die pharaonischen Absichten. Seit 2013 ist die Nordroute von Duisburg und Leipzig über die Transsib, ab Irkutsk dann über die Mongolei oder über die Mandschurei bis in die südchinesische 28-Millionen-Metropole Chongqing in Betrieb. 400 Züge bewegen hier in zwölf bis 16 Tagesfahrten alljährlich 40.000 Container. Das ist aber gegenüber dem Riesenfrachter „Triumph“ der japanischen Reederei Mitsui O.S.K. Lines (MOL), der mit 20.000 Containern am 16. Mai in Hamburg anlegte, Kleinvieh.

Es ist eine Nische für Produkte, die schneller ankommen müssen als mit der 25tägigen Schiffsfracht, aber billiger als mit dem Flugzeug. Die Chinesen wollen ab Jekaterinburg noch eine Südroute durch Kasachstan nach Wuhan abzweigen lassen. Dazu soll eine neue Eisenbahntrasse von Xinjiang – dem wilden Westen Chinas bzw. Ostturkestan – durch Zentralasien entlang der alten Karawanenwege sozusagen doppelgleisig verlaufen: einmal über den Iran und die Türkei nach Bulgarien. Und zum anderen mit Fähren über das Kaspische Meer durch Aserbaidschan und Georgien, dann über das Schwarze Meer ebenfalls nach Bulgarien laufen, um von dort über Serbien, Ungarn, Slowenien und Italien schließlich in Spanien zu enden.

Zahnloser Protest von Ministerin Brigitte Zypries 

Dazu werden Öl- und Gaspipelines gebaut, die alle die Eigenschaft haben, von ihren Förderquellen in Birma, Kasachstan, Turkmenistan, Sibirien und Sachalin in chinesischen Raffinerien zu enden. Weitere Seidenstraßen-Projekte führen vom westchinesischen Kaschgar zum pakistanischen Hafen Gwadar, der den Zugang zum Arabischen Meer eröffnet und durch von Indien beanspruchtes Territorium des Kaschmir führt.

Zudem ist der Ausbau des Hafens von Dschibuti mit einer Bahnlinie nach Addis Abeba mit seinen vielen chinesischen Billigbetrieben für den Export nach Europa geplant. Ein weiteres ostafrikanisches Bahn- und Straßenprojekt führt vom kenianischen Hafen Mombasa über Nairobi in den Südsudan und dann über Ruanda und Burundi in den Ostkongo. 

Die chinesische Führung bemüht sich bei allen 60 potentiellen Partnerstaaten soviel wie möglich Eigenmittel lockerzumachen. Gleichzeitig sitzt Peking auf drei Billionen Dollar an Währungsreserven, die China mit seinen Exportüberschüssen erwirtschaftet hat und die nach Nutzung rufen. Das Ziel ist offenkundig: die Exporte nach Europa, Afrika und in den Nahen Osten zu steigern und dabei das US-kontrollierte Nadelöhr der Malakkastraße zu umgehen und gleichzeitig die Rohstoffversorgung Chinas aus möglichst vielen Quellen zu sichern.

Dazu hat China massive Überkapazitäten in der Stahl- und Bauindustrie, die neue Verwendung finden können. Ob jene Rieseninvestionen jemals profitabel werden, läßt sich angesichts der Erfahrungen mit den chinesischen Hochgeschwindigkeitsnetzen bezweifeln. Doch Präsident Xi geht es um etwas anderes: Chinas Vorherrschaft in Asien und auf dem eurasiatischen Kontinent zu sichern und auszubauen. Eine strategische europäische Antwort gibt es nicht.

Der Hafen von Piräus ist bereits in chinesischer Hand. Ungarn verkauft seine Logistikzentren an China, das im benachbarten Serbien und Slowenien die Eisenbahn modernisiert. Puzzleartig werden die großen Achsen zusammengebaut. Während der britische Schatzkanzler Philip Hammond das Projekt bejubelt, haben sich Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) sowie die französischen, spanischen, portugiesischen und griechischen Minister geweigert, das Schlußkommunique zu unterschreiben – weil die Ausschreibungsbedingungen unklar seien. Sie sind es aber: die Aufträge sollen an chinesische Firmen gehen. Dieser zahnlose Protest wird die chinesische Infrastrukturoffensive nicht aufhalten.