© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Ein Leben für die Arbeiterklasse
DDR-Geschichte: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ auf der Kinoleinwand
Sebastian Hennig

In Zeiten des abnehmenden Lichts“, während des Frühherbstes, brannten früher die Kartoffelfeuer auf den abgeernteten Äckern und die tief stehende Sonne verlieh den Gegenständen lange Schatten. Bruno Ganz verkörpert in dem Film von Matti Geschonneck einen greisen Kommunisten. Dieser Wilhelm Powileit bekam in jungen Jahren durch den Sieg der nationalsozialistischen Opponenten die Ohnmacht zu spüren und wurde danach in der DDR zum Maskottchen der Macht, ohne ihr tatsächlich nah zu rücken, da er im falschen, im mexikanischen Exil war. Es wird gemunkelt, daß er in die Ermordung Trotzkis eingebunden gewesen sei. Nun kündigt sich gegen Ende seines Lebens abermals eine Entmachtung an. Die Zeit des eigenen Triumphs ist vorbei. Alle stellen sich auf die kampflose Übergabe der Zitadelle DDR ein. 

Die Romanverfilmung, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Eugen Ruge, schenkt nicht nur dem Hauptdarsteller eine kostbare Theaterrolle auf Zelluloid. Mit Hildegard Schmahl bildet Bruno Ganz ein eigenwilliges Traumpaar des deutschen Kinos. Sylvester Groth als Stiefsohn Kurt Umnitzer, Evgenia Dodina als seine russische Gattin Irina und Alexander Fehling als deren Sohn Sascha stehen dem nicht nach. Sie heben und steigern das Sittenbild aus abgelagerten Irrtümern und Lebenslügen. Es handelt sich um eine tragikomische Milieustudie. Erst in seinem rasch naherückenden Untergang entfaltet sich ein System im vollen Flor. Der Kameramann findet dafür die opulentesten Bilder.

Daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt sei, soll Napoleon 1812 während der Flucht aus Rußland bemerkt haben. Doch das war noch eine Bewegung innerhalb klarer geographischer Konstanten. Rußland ist für Wilhelm Powileit 1989 ein Orakel. Doch das verkündet neuerdings den konterrevolutionären Nonsens vom Umbau der sozialistischen Gesellschaft. Des alten Genossen Verteidigung des Stalinismus ist auch ein Reflex auf den im Gulag getöteten Rivalen, den Vater des Sohnes seiner Frau. Im Film sprechen Bilder und Gesten. Die Verstrickung erhält antikisches Format.

Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase meint, wenn die Sieger die Geschichte schreiben, dann „werden dringend intelligente Sieger gesucht“. Der Film ist tatsächlich eine Justierung einer Wahrnehmung, die durch dümmliche Possen wie „Good Bye Lenin!“, „NVA“ oder die TV-Verfilmung von „Der Turm“ verschoben wurde. Nichts von dem entwürdigenden Exotismus dieser Filme, die für die untergangene DDR in etwa die gleiche Wirkung wie Schmonzetten in der Art von „Gesprengte Ketten“, „Das siebte Kreuz“ oder „Die Brücke“ für den NS-Staat haben. So wie diese Epoche erst in jüngster Zeit nach und nach durch Filme wie Volker Schlöndorffs „Das Meer am Morgen“ (2011), „Wolfskinder“ (2013) von Rick Ostermann und „Unter dem Sand“ (2015) von Martin Zandvliet wirklich zur Darstellung gelangt, so könnte „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ für jene den Anfang machen.

Der Film lebt von der Präsenz seiner Darsteller

Geschichtliche Ereignisse – und seien sie noch so schrecklich – müssen gelassen erzählt werden. Ob auch der Skamandros rot vom Blut der Krieger fließt oder die Lanze dem Ilioneus durchs Auge schießt – Erzählungen sollen hören lassen, wie es war und nicht, wie es besser hätte werden sollen. Das Gelingen dieses Films beruht wohl auf dem günstigen Verhältnis von Nähe und Distanz. Eugen Ruge, Wolfgang Kohlhaase und Matti Geschonnek entstammen selbst den vorgeführten wissenschaftlich-kulturellen Dynastien der verflossenen DDR, während die Darsteller mit ihrem großen Abstand dazu den Rollen gerecht werden können. 

Diese alten Kommunisten waren selbst in der DDR ungelenke Dinosaurier. Ihre archaische Anatomie war für die billige Geschmeidigkeit des Honeckerschen Kleinbürger-Paradieses mit den unterdrückten Träumen vom duftenden Westen nicht gemacht. Da sitzt Wilhelm Powileit nun am Morgen seines neunzigsten Geburtstags am Schreibtisch und stellt fest, daß die Würdigung in der Parteizeitung Neues Deutschland um ein Adjektiv ergänzt wurde. Statt „Ein Leben für die Arbeiterklasse“ lautet die Preisung nun beinahe schon vorwurfsvoll „Ein langes Leben für die Arbeiterklasse“. Er legt den Ausschnitt in die Kiste mit den Orden. Das Bonbon, das Parteiabzeichen der zwangsvereinigten Sozialisten, hat er zuvor der kaiserzeitlichen Schranklade entnommen.

Dann kommt Lisbeth mit dem Morgenkaffee. Einen Hunderter nestelt er ihr in den Ausschnitt und birgt für einen Moment sein Greisenhaupt an ihrem wogenden Busen. Sie ist in dem Augenblick die personifizierte Arbeiterklasse, die den Genossen Powileit im Kerker seiner stupiden Weltanschauung besucht, tröstlich wie weiland die Philosophie dem Boethius in seinem Verlies zu Ravenna. Zu welchem Ende die Geschichte gelangt, die einem Roman folgt, der die Durchschaubarkeit eines Drehbuchs mit der Bedeutungsleere mittelmäßiger Memoirenliteratur verbindet, ist gleichgültig. Dieser Film lebt von der Präsenz der Darsteller und der Bildgestaltung. 

Bruno Ganz spielt den Powileit wohl deshalb so gut, weil der in Wahrheit gar nicht als Typus in einem System aufgeht. Ein Thomas Bernhard war kaum anders und hat sich zeitlebens ähnlich aufgespielt wie Powileit, der Nägel in den „Nazitisch“ hämmert und damit weder etwas reparieren kann noch seine Gegner ins Herz trifft, sondern nur sich selbst und seine Nächsten verletzt, der Schönes darum verwüstete, weil es im allgemeinen Elend ungerührt schön geblieben ist. In seinem NS-Vergleich: „Wir waren nicht vorbereitet, und jetzt sind wir wieder nicht vorbereitet“ gleicht er den gegenwärtigen rüden Bekämpfern jeder rettenden politischen Wende.