© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Ein Brauch, der eint
Seit über 200 Jahren erhellen Herz-Jesu-Feuer den Himmel über Tirol und bringen nicht nur Jung und Alt zusammen
Lukas Steinwandter

Tirols Berge stehen in Flammen. Sie brennen nicht wirklich, aber es scheint so, wenn am 25. Juni traditionsbewußte Tiroler meterhohe Feuer auf den rauhen Höhen entzünden. Dann heißt es wieder: „Auf zum Schwur“, es ist Herz-Jesu-Sonntag. Vom Kinde bis zum Greise steigen Frauen und Männer früh morgens auf ihren Berg. Im Gepäck reichlich Brennmaterial und Proviant. Während unten im Dorf die Herz-Jesu-Prozession beginnt, beginnen auf dem Berg die Vorbereitungen. 

Den ganzen Tag über werden die Feuerstellen hergerichtet. Schließlich sollen die Bewohner im Tal am Abend wahre Kunstwerke bestaunen können. Denn häufig sind es nicht nur einfache Feuer, die entzündet werden. Typischerweise werden auch religiöse und politische Motive gestaltet: Herzkreuze, betende Hände, Schriftzüge mit Tirol oder Herz Jesu, Tiroler Adler oder Ketten auf den Graten.

Nach getaner Vorbereitung wird für ein gemeinsames Abendbrot Speck aufgeschnitten, Bratwurst gegrillt und Wein eingegossen. Schließlich geht die Sonne unter. In einem Augenblick der Demut vor Gott und in Treue zu Tirol werden die Feuer mit Fackeln oder brennenden Zweigen angezündet. Aus stolzen Kehlen tönen die Zeilen eines 1896 komponierten Liedes: „Auf zum Schwur, Tiroler Land, heb zum Himmel Herz und Hand! Was die Väter einst gelobt, da der Kriegssturm sie umtobt, das geloben wir aufs neue, Jesu Herz, dir ew’ge Treue! Das geloben wir aufs neue, Jesu Herz dir ew’ge Treue.“

Die Feuer gehen zurück auf den Kampf gegen Napoleon

Viele derjenigen, die an diesem besonderen Tag nicht auf die Berge gehen, ziehen am Abend mit ihrer Familie durch das Dorf und bestaunen die Feuer. An vielen Häusern leuchten Fensterbilder und Kerzen.

Die Tradition der Herz-Jesu-Feuer geht auf das Jahr 1796 zurück. Napoleonische Truppen marschierten an den Pforten des „Heil’gen Landes Tirol“ auf. Die Landstände versetzten Tirol in Kriegsbereitschaft. Der 24 Mitglieder umfassende Ausschuß beriet sich von Ende Mai bis Anfang Juni in Bozen und griff den Vorschlag von Pfarrer Anton Paufler auf, Feuer auf den Bergen zu entzünden und so um den Beistand Gottes zu bitten. Die Tiroler vertrauten ihr Land dem „Heiligsten Herzen Jesu“ an. In einer klaren Juni-Nacht erleuchteten dann meterhohe, hell strahlende Feuer die bis zu 4.000 Meter hohen Gipfel. Der Tiroler Landsturm erhielt einen bis dahin noch nie dagewesenen Zustrom an Freiwilligen, um sich den französischen Invasoren entgegenzustellen. Diese hatten zuvor ein österreichisch-piemontesisches Armeekorps bezwungen und schritten im Italienfeldzug auch gen Tirol vor. 

13 Jahre später erneuerten die Tiroler Schützen unter dem Oberkommando von „Sandwirt“ Andreas Hofer den Schwur auf das „Heiligste Herz Jesu“. Wieder schimmerten die stolzen Höhen hellrot. Der Tiroler Aufstand errang drei Siege gegen das übermächtige bayerisch-französische Heer und befreite das kleine Land von den Besatzern – der Herz-Jesu-Sonntag wurde zum hohen Feiertag am zweiten Sonntag nach Fronleichnam erklärt. Erst im Spätherbst 1809 konnte Tirol erneut besetzt werden, bis es nach der Niederlage Napoleons 1814 wieder an Österreich zurückfiel. 1961 sollte der Feiertag erneut in die Geschichte eingehen. Untergrundkämpfer für die Loslösung Südtirols von Italien sprengten in der später so genannten „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 37 Hochspannungsmasten, die Teile der oberitalienischen Industrie lahmlegten. 

Der Brauch bringt aber nicht nur Jung und Alt zusammen, er eint auch das 1919 auseinandergerissene Land Tirol. Denn die Herz-Jesu-Feuer brennen in Nord-, Ost- und Südtirol. In ihrem Zeichen ist zumindest an diesem Tag Tirol wieder eins.