© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Kein bißchen Frieden
Pfingsttreffen der Sudetendeutschen: Die Führung der Landsmannschaft setzt den Schmusekurs mit Prag fort / Kritiker protestieren draußen
Gernot Facius

Tschechische Stunden auf dem 68. Sudetendeutschen Tag in Augsburg: Vizepremier Pavel Belobrádek grüßt in seiner „Botschaft aus Prag“ die „lieben Landsleute“; Kulturminister Daniel Herman spricht im feierlichen katholischen Pfingstgottesdienst die Fürbitten; das Pontifikalamt zelebriert der emeritierte Bischof von Pilsen, František Radkovský. 

Das traditionelle Treffen der Heimatvertriebenen aus Böhmen, Mähren und Schlesien soll nach den Vorstellungen der Spitze der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) demonstrieren, daß im Herzen Europas wieder zusammenwächst, was jahrhundertelang zusammengehörte. So hatte es SL-Sprecher Bernd Posselt angekündigt (JF 23/17). 

„Sie haben Zukunft          gestaltet“, lobt Seehofer

Daß auf diesem Weg noch viele Stolpersteine liegen, daß die tschechischen Sympathiebezeugungen nicht zum politischen Nulltarif zu haben waren, das gab allerdings Belobrádek, der bislang ranghöchste tschechische Gast auf einem Sudetendeutschen Tag, schon in den ersten Sätzen seiner Rede zu erkennen: Er wäre nicht gekommen, hätte die Landsmannschaft nicht ihre Satzung verändert, sprich: die jahrzehntelang durchgehaltenen Forderungen nach „Wiedergewinnung der Heimat“ und nach Entschädigung für das geraubte Eigentum der Sudetendeutschen gestrichen. Vor zwei Jahren war Belobrádek, der an der Spitze einer kleinen christlich-demokratischen Partei steht, die um ihr parlamentarisches Überleben kämpft, nur zu einer Videobotschaft bereit gewesen. Gleichwohl pries ihn Posselt als „Eisbrecher“ im bilateralen Verhältnis.

Daß die „Modernisierung“ der Satzung nach wie vor politisch wie juristisch umstritten ist, wurde weitgehend ignoriert. Offenbar verlässt sich die tschechische Seite auf Posselt, der sich siegessicher gab: Die Änderung werde niemals mehr rückgängig gemacht, „auch wenn wir (in der Bundesversammlung der SL) zehnmal abstimmen“. Zugleich kritisierte der SL-Sprecher „Rechtsradikale“ unter den Sudetendeutschen, die seit 2015 die geänderte Satzung und die Grundsatzerklärung „anfeinden“.

Belobrádek sprach von einem „großen Schritt in die Zukunft“, er nannte seine Anwesenheit eine nachbarschaftliche Selbstverständlichkeit, er sei froh, die Europäische Union zu haben: „Wir sind alle Europäer“. Die alten Streitpunkte rund um die Benesch-Dekrete, die zur Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen führten, ließ er unbeachtet. Und Radio Prag zitierte denn auch an erster Stelle Belobrádeks Bekenntnis, er sei nicht in Augsburg, um sich zu entschuldigen oder um zu versöhnen, er sei hier, um mit Nachbarn zu feiern. 

Ministerpräsident Horst Seehofer  (CSU) griff diesen Gedanken auf und führte ihn auf seine Weise weiter. Die „Normalität“ im Verhältnis mit dem tschechischen Nachbarn sei ein „großes Geschenk“. Die Sudetendeutschen hätten den Dialog gesucht und Kontakt gehalten, auch in schwierigen Zeiten. „Sie haben Zukunft gestaltet“, lobte der „Schirmherr“ der Volksgruppe. Noch immer gebe es aber viele Aspekte der gemeinsamen Geschichte „aufzuarbeiten“. Diese waren aber in Augsburg nicht das große Thema. Die Regie des Sudetendeutschen Tages hatte darauf geachtet, daß das „Nachbarschaftstreffen“ nicht durch politische  Forderungen, die einer „von ihr definierten Versöhnung“ im Wege stehen, gestört wurde. 

Der national-konservative sudetendeutsche Witikobund war von der Veranstaltung ausgeschlossen worden. Er meldete sich aber vor den Messehallen mit 900 Flugblättern zu Wort, auf denen die „Freiheit der Information“ als Voraussetzung für vernünftige und gerechte Entscheidungen eingefordert wurde. Angezweifelt wurde die „Autorität“ der Bundesversammlung der SL, die die umstrittene Satzungsänderung verabschiedet hatte. Jeder wisse, hieß es anklagend auf den Flugblättern, daß dieses Gremium „auf geheimgehaltenen Mitgliederlisten beruht und nur noch ein Zerrbild der Volksgruppe“ sei: „Herrn Posselt fehlt daher eine seriöse demokratische Legitimation. Daher Schluß mit Anmaßungen und Gauklertum!“

Diese Opposition innerhalb der Landsmannschaft hält der gegenwärtigen Führung der SL unter Bernd Posselt auch vor, beharrlich die auch für Deutsche geltenden Restitutionsgesetze in Serbien, Rumänien, Slowenien, Ungarn, Litauen zu verschweigen. Fürchte sie etwa, diese Beispiele könnten die Tschechische Republik unter Zugzwang setzen, wird gefragt. „Ist das sudetendeutsche Interessenvertretung?“ Angesichts dieser Entwicklung sei es „widersinnig“, die Restitutionsforderung aus der Satzung der Landsmannschaft zu entfernen. Bislang hat das zuständige Registergericht in München weder die Satzungsänderung noch die Vorstandswahlen des Jahres 2016 anerkannt. Das hat juristisch zur Folge, daß noch die alte Satzung gilt. Der Bundesvorstand der SL ist daher in den Augen seiner Kritiker nur kommissarisch im Amt. 

SL-Sprecher Posselt zeigte sich dennoch optimistisch, auch und gerade nach der Teilnahme eines tschechischen Vizepremiers am Sudetendeutschen Tag: „Wir sehen uns unsererseits ermutigt, unseren Reform- und Verständigungskurs konsequent fortzusetzen, damit sich dieser verstetigt.“ Aber vorerst heißt es auf den Ausgang des Verfahrens vor den Gerichten zu warten. Das zweite Halbjahr 2017 dürfte entscheidend werden für den Bestand der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Deutschland. Gerade flehentlich wandte sich der Vorsitzende der SL Oberbayern, Hans Slezak, an die von der Posselt-Politik Enttäuschten: „Bitte, tretet jetzt nicht aus, sonst schwächt ihr die Front derer, die mit uns für den Erhalt unserer Rechtspositionen kämpfen!“ 

Fazit: Der Sudetendeutsche Tag 2017 in der „Friedensstadt“ Augsburg hat keinen Frieden unter Landsleuten gestiftet.