© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Wer meckert, fliegt
Bundeswehr: Der Abzug deutscher Luftwaffensoldaten aus der Türkei wird unvermeidlich / Verteidigungsministerin ändert Organisationsstruktur / Liste „verdächtiger“ Gegenstände
Peter Möller

Die Zeichen stehen auf Umzug. Am Montag war Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Ankara mit einem letzten Versuch gescheitert, Bundestagsabgeordneten wieder den Besuch der deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu ermöglichen. „Wir sind auf eine Verlegung vorbereitet“, sagte daraufhin Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Laut Medienberichten hat die Bundeswehr bereits detaillierte Pläne für den Umzug der in Incirlik stationierten Tornados und Tankflugzeuge der Luftwaffe nach Jordanien ausgearbeitet. An diesem Mittwoch stand die Umzugsentscheidung auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. 

Das Image in der Gesellschaft aufpolieren

Für von der Leyen dürfte der Streit mit der Türkei nicht ungelegen kommen. Die Krise lenkt von der Säuberung der Bundeswehrkasernen von tatsächlichen oder angeblichen Erinnerungsstücken an die Wehrmacht ab, die von der Leyen im Zusammenhang mit dem Terrorverdacht gegen mehrere Bundeswehroffiziere angeordnet hatte – und die innerhalb der Truppe für wachsenden Unmut sorgt. In der vergangenen Woche wurde die Stimmung durch die Veröffentlichung der Liste mit den verdächtigen Gegenständen, die bei den „Begehungen“ der Kasernen vorgefunden wurden, weiter angeheizt. Die gut 400 Einträge umfassende Aufstellung war dem nicht öffentlich tagenden Verteidigungsausschuß vorgelegt worden und hatte danach schnell den Weg in die Öffentlichkeit gefunden.

Schon in dem Begleitschreiben des zuständigen parlamentarischen Staatssekretärs Markus Grübel (CDU) an den Verteidigungsausschuß wird entschuldigend auf den „höchst unterschiedlichen Detaillierungsgrad“ und das „sehr breite Spektrum“ der Meldungen hingewiesen. Und so findet sich denn auf der Liste so ziemlich alles, was irgendeinen historischen Bezug haben könnte: vom Säbel aus napoleonischer Zeit über eine Fettpresse, wie sie auch in der Wehrmacht verwendet wurde, bis hin zu „Bundeswehrhelm alter Art“, womit vermutlich der auf amerikanischem Vorbild beruhende Helm gemeint ist, der bis in die neunziger Jahre Verwendung fand. Weitere kuriose Meldungen waren diverse Plastikmodelle von Panzern und Flugzeugen der Wehrmacht sowie Fotos von Soldaten in Wehrmachtsuniform; darunter die Widerstandskämpfer des 20. Juli, Oberst Freiherr von Boeselager, General Friedrich Olbricht und General Henning von Tresckow.

Ob die teilweise sehr kleinteiligen Meldungen der zuständigen Offiziere aus Furcht vor angedrohten disziplinarischen Konsequenzen zustande gekommen sind, oder teilweise sogar als Akt des Widerstands zu werten sind, wird nicht immer klar. Aber ein Blick auf die Liste läßt bei manchen besonders skurril erscheinenden Meldungen den Verdacht aufkommen, daß hier teilweise etwas bewußt auf die Spitze getrieben wurde, um die Fallstricke aufzuzeigen, die sich ergeben, wenn die politische Führung damit beginnt, die militärischen Traditionen einer Armee zu bereinigen.

Unterdessen hat die von dem terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. ausgelöste Affäre weitere Konsequenzen. In der vergangenen Woche verkündete von der Leyen in einem Tagesbefehl, daß der Militärische Abschirmdienst (MAD) künftig direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt wird. Bisher war der Inspekteur der Streitkräftebasis für den Dienst zuständig, dem offenbar verborgen geblieben war, daß sich Franco A. als syrischer Flüchtling ausgegeben und möglicherweise einen Terroranschlag geplant hatte.

„Das MAD-Amt nimmt damit künftig im Behördenaufbau eine Stellung vergleichbar der des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein“, heißt es in dem Tagesbefehl zur Aufwertung des Nachrichtendienstes. „Nicht erst die aktuellen Vorkommnisse um die Soldaten A. und T. zeigen, daß der Eigenschutz der Bundeswehr und damit auch die Extremismus- und Terrorismusabwehr hohe Prioritäten genießen“, heißt es zur Begründung weiter. Die Tatsache, daß auch das Zentrum Innere Führung dem Ministerium künftig direkt unterstellt wird, macht den Zusammenhang der Umstrukturierung mit der Affäre um Franco A. deutlich, auch wenn es in dem Tagesbefehl heißt, die direkte Unterstellung des MAD unter das Kommando des Verteidigungsministeriums sei „Folge einer Prüfung, die seit Anfang des Jahres erfolgt“. Bereits Mitte Mai hatte MAD-Präsident Christof Gramm als Konsequenz aus dem Fall Franco A. ein Frühwarnsystem zur Identifizierung von Rechtsextremen in der Bundeswehr angekündigt. Nach der Entdeckung einer rechtsextremen Zelle um den Oberleutnant müsse der Geheimdienst „insbesondere mehr in der Prävention tun“, sagte der MAD-Chef dem Spiegel.

Auf bessere Schlagzeilen kann die Bundeswehr zumindest kurzzeitig an diesem Sonnabend hoffen. Dann lädt die Truppe zum dritten Mal seit 2015 zum Tag der Bundeswehr ein. An insgesamt 16 Standorten wollen die Streitkräfte, die seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 unter Nachwuchsmangel leiden, ihre Leistungsfähigkeit präsentieren und so um neue Rekruten werben sowie ihr Image in der Gesellschaft aufpolieren. Im Verteidigungsministerium weiß man aber spätestens seit dem vergangenen Jahr, daß auch hier Gefahren lauern. Denn nach dem Tag der Bundeswehr 2016 sorgten Berichte für Aufregung, in einer Kaserne hätten Kinder mit Waffen hantiert. Solche Schlagzeilen wird die Bundeswehr in diesem Jahr unter allen Umständen verhindern wollen.