© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Heimkehr nach siebzig Jahren
Raubkunst: Ein US-Museum gibt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine ägyptische Stele zurück
Martina Meckelein

Der Deutschenhasser Georges Clemenceau, Ministerpräsident Frankreichs von 1903 bis 1906 und von 1917 bis 1920, soll einmal über die Vereinigten Staaten gewitzelt haben: „Amerika – die Entwicklung von der Barbarei zur Dekadenz ohne Umweg über die Kultur.“ Die USA mögen keine Tradition als Kulturnation haben, als Kulturräuber sind allerdings auch Amerikaner tätig. Der Begriff „Raub“ bezeichnet einen Straftatbestand, der im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika nur selten benutzt wird. Und so ist die Wortwahl, der sich der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, jüngst bediente, bezeichnend für das Verständnis von Recht und Unrecht deutscher Museumschefs bezüglich der US-amerikanischen Rückführung von Raubkunst – doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit zwischen vermeintlich befreundeten Nationen: „Ich danke dem Kelsey-Museum für die unkomplizierte Rückgabe der Stele – eine große Geste.“

Die türkisblaue ägyptische Fayence- Stele (entstanden um 1250 vor Christi), über deren Rückkehr nach Berlin sich Parzinger zu Recht so freut, „galt seit Ende des Zweiten Weltkrieges als verschollen, wie auch zahlreiche andere Objekte der Staatlichen Museen in Berlin“, so der Präsident. Sie wird ab Mitte Juni in der Dauerausstellung des Ägyptischen Museums auf der Museumsinsel zu sehen sein.

Das Rückgabestück, es handelt sich um den oberen Teil einer Stele, zeigt Ptahmose, einen Bürgermeister von Memphis unter Ramses II. Die Stele war 1910 von den Staatlichen Museen aus einer englischen Sammlung erworben worden. Im Zweiten Weltkrieg blieb sie mit der Inventarnummer ÄM 19718 in einem Porphyrsarkophag im Museum gegen die alliierten Bombenangriffe geschützt. Nach der Eroberung Berlins jedoch war sie – weg!

Wie sich jetzt herausstellte, „erwarb“ sie, so die Stiftung, der US-Amerikaner niederländischer Herkunft Samuel Abraham Goudsmit (1902–1978). Goudsmit, ein Physiker, war für die US-Administration in Deutschland in besonderer Mission unterwegs. Für das Geheimprojekt „Alsos“ sollte er als wissenschaftlicher Leiter deutsche Atomphysiker und ihr Know-how aufspüren. Nebenbei, er hatte sich schon früh für antike Kunst interessiert, frönte er seinem Hobby und kaufte 1945 die Stele von einem „privaten Sammler“. Er baute eine Sammlung auf, zu der auch die Stele gehörte, und vermachte alles später dem Kelsey-Museum. Ein niederländischer Ägyptologe identifizierte die Stele später als die in Berlin verschollene. Das Kelsey-Museum „entschied, die Stele nach Berlin zurückzugeben“.

Wer den Begriff Raubkunst hört, der denkt an die „Trophäenbrigaden“ der Roten Armee und natürlich die der Nationalsozialisten. So heißt es auf der Internetseite „Lost Art“, einer Datenbank, seit 2000 online, die verschollene Kulturgüter auflistet: „Zwischen 1933 und 1945 fand eine bis heute nicht restlos aufgeklärte Verlagerung von Kulturgütern statt; dem Kunstraub unter dem Nationalsozialismus folgten dabei etwa die Aktivitäten der sowjetischen Trophäenkommissionen oder einzelner alliierter Soldaten.“

Das ist bloße Geschichtsklitterung. Hier wird komplett ignoriert, daß die amerikanische Armee in Europa während und nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch raubte. Teils staatlich gewollt, durch die Einrichtung der „Central Collecting Points“ der US-Militärregierung in Deutschland – Hauptsitze waren München und Wiesbaden, dazu acht untergeordnete „Points“ – oder ganz privat räumten US-Militärs Museumsvitrinen und die guten Wohnstuben in Deutschland leer.

1943 gründete die US-Armee die insgesamt 400 Mann zählende Einheit der „Monuments, Fine Arts, Archives Section“ (MFA&A). Ihr Auftrag: Kulturschätze zu identifizieren und vor dem eigenen Bombardement in Sicherheit zu bringen. Und das, ohne auch nur einen Anflug an Scham zu empfinden. Der Spiegel berichtete 2007, daß die US-Journalistin Patricia Lochridge Hartwell in einem Artikel für die Frauenzeitschrift Woman’s Home Companion beschrieb, wie sie sich 1945 einen Lucas Cranach aus einem solchen US-Armee-Fundus in Deutschland mit nach Hause nahm. Sie konnte sich wie auf einer Resterampe ein Souvenir aus NS-Deutschland einfach aussuchen. Mit einem juristischen Kunstgriff entledigten sich die US-Kunsträuber jeglicher Kritik, in dem sie einfach behaupteten, es handele sich entweder um von Deutschen geraubte Kunst, um beschlagnahmtes jüdisches Eigentum, oder sie erklärten, die Kunstwerke zu deren eigenen Sicherheit in Verwahrung zu nehmen.

Im Grunde werden die Fälle US-amerikanischer Raubkunst nur dann bekannt, wenn es zu einer für die wahren Eigentümer oft mit Millionenbeträgen teuer erkauften Rückgabe der Exponate kommt. Erinnert sei nur an den Quedlinburger Domschatz (Wert: 220 Millionen US-Dollar). Der deutsche Steuerzahler zahlte allein drei Millionen US-Dollar als „Finderlohn“ an die Erben des US-amerikanischen Kunsträubers für das Evangeliar von Samuel, später gab es noch 2,75 Millionen US-Dollar für den Reliquienschrein Heinrichs I. Zwei Beutestücke aus Quedlinburg sind allerdings weiterhin verschollen.

Viele geraubte Kunstgüter werden an Deutschland allerdings gar nicht zurückgegeben. In der Datenbank „Lost Art“ ist zum Beispiel ein Rubens aus Schloß Friedenstein in Gotha als vermißt aufgelistet: der heilige Gregorius Naziazenus. „Der Heilige in weißer Bischofstracht, auf einer Wolke stehend und zurückgebeugt, stößt dem geflügelten Teufel die Spitze seines Krummstabes ins Gesicht, …“ Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg erwarb den kleinen, auf Eiche gemalten Entwurf 1802. Kurios dabei: Das Bild ist gar nicht verschollen. Es wurde 1945 nach Coburg ausgelagert, kam in den Kunsthandel nach New York und hängt heute in der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo in den USA. Perfiderweise mit einem Besitznachweis: Angeblich sei es 1952 aus der Gotha-Sammlung gekauft.  

Die Verstrickung von US-Amerikanern in die Plünderung von Kulturgütern ist indes nicht nur ein historisches Faktum. Am 11. April 2003 titelte die Main Post: „Plünderungen in Irak weiten sich aus“. In dem Artikel heißt es unter anderem: „Der US-Befehlshaber für den Golfkrieg, General Tommy Franks, erließ neue Verhaltensregeln für die US-Truppen in Bagdad, in denen es ihnen untersagt wird, Plünderer zu erschießen.“ Dieser Befehl, nichts zum Schutz des irakischen Nationalmuseums zu tun, machte Plünderungen dieses Ausmaßes erst möglich.

Wie viele Kunstwerke gestohlen wurden, weiß niemand. Die Schätzungen liegen um die 170.000 Stücke aus 7.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Während der Plünderungen wurden der Inventarkatalog des Museums und die Computeraufzeichnungen zerstört. Einerseits ist ein Eigentumsnachweis dadurch erschwert, andererseits deutet dieses Vorgehen auf gezielte Auftragsraubzüge für private Sammlungen. Sechs bis acht Milliarden Euro werden, so schätzen Experten, pro Jahr im illegalen Kunstmarkt weltweit erwirtschaftet. Dabei funktioniert der organisierte Kunstraub nur über mafiöse Organisationsstrukturen, die auch weltweit bekämpft werden müssen.

Vor zwei Jahren öffnete das Museum in Bagdad wieder seine Tore. Die JUNGE FREIHEIT wollte von der US-Botschaft eine Stellungnahme dazu. Bis zum Redaktionsschluß gab es jedoch keine Reaktion.

Aber vielleicht ist auch alles anders. Vielleicht war Clemenceau nur enttäuscht über seine amerikanische Ehefrau, die mit dem Privatlehrer der gemeinsamen Töchter durchgebrannt sein soll. 

Info: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Humboldtstraße 12, 39112 Magdeburg

Telefon: 03 91 / 727 763 0

 www.kulturgutverluste.de