© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Nicht in Humboldts Namen
Scheitern der Bildungsreform: „Bologna“ müßte eigentlich „Manchester“ heißen
Konrad Adam

Wer wissen will, was es mit Humboldts Namen auf sich hat, sollte sich nicht in Deutschland umsehen, sondern im Ausland. In Amerika zum Beispiel, in Stanford, Yale oder Princeton, wo der preußische Universitätsreformer immer noch hohes Ansehen genießt. Hierzulande trägt seine wichtigste Hinterlassenschaft, die Berliner Universität, nur noch seinen Namen – und den zu Unrecht. Denn Humboldts Vermächtnis, die Freiheit von Forschung und Lehre, ist nirgendwo gründlicher mißachtet, verhöhnt und bekämpft worden als dort: erst von den nationalen, dann von den internationalen Sozialisten und jetzt von dem akademischen Lumpenproletariat, das von beiden gelernt hat.

Die Vorgesetzten machen mit. Daß ihr Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft unter der Devise „Bologna“ vorgetragen wird, paßt ganz gut. Denn auch dieser Name ist Anmaßung und Verrat zugleich. Bologna war ja Sitz der Hochschule, von der aus die römische Rechtswissenschaft ihren Siegeszug durch ganz Europa angetreten hatte. Mit Wissenschaft hat das, was heute unter diesem Etikett in Umlauf ist, aber nicht mehr viel zu tun. Ehrlicher wäre es gewesen, die Massenproduktion von Universitätsabschlüssen statt nach Bologna nach der Stadt Manchester zu benennen. Und die Berliner Anstalt nicht als Humboldt-Universität, sondern als Rüttgers-Hochschule zu bezeichnen.

Der Begriff Bologna steht für den bisher ehrgeizigsten Versuch, die Wissenschaft der Wirtschaft dienstbar zu machen. Eine häßliche Industriemetropole wie Manchester gäbe dafür den glaubwürdigeren Paten ab als ein mittelalterliches Gemeinwesen wie Bologna. Und für den Weg dorthin, für die Harmonisierung und Bürokratisierung des Lehr- und Forschungsbetriebs, wäre ein Mann wie Jürgen Rüttgers der überzeugendere Garant als einer der beiden Brüder Humboldt. War es doch der ehemalige CDU-Ministerpräsident Rüttgers, der sich als Wissenschaftsverwalter mit der Behauptung hervorgetan hatte, Humboldt sei tot.

Der hatte sein bekanntes Plädoyer für die Freiheit von Forschung und Lehre mit dem Charakter der Wissenschaft begründet, die er als etwas Vorläufiges, noch nicht ganz Gefundenes und auch nie ganz Aufzufindendes beschrieb. Die Aufgabenverteilung zwischen Lehrer und Schüler war darauf zugeschnitten: der eine habe nicht für den anderen, sondern beide für die Wissenschaft da zu sein, schrieb Humboldt. Von so viel Selbstbezüglichkeit läßt der Bologna-Funktionalismus nicht viel übrig. Er macht das Studium zum Pensum, ersetzt das Fach durch eine Vielzahl „Module“, die von keinem inneren oder äußeren Band zusammengehalten werden. Und bringt damit die Wissenschaft um das, was für Humboldt entscheidend war, um ihren subjektiven Bildungswert.

So kommt statt Wilhelm von Humboldt Max Horkheimer in den Blick, dem als Fernziel die Eingliederung des Universitätsbetriebs in den Arbeitsmarkt vor Augen gestanden hatte. Wie der Professor sein Lehrdeputat, hat der Student seine Wochenstundenzahl abzuarbeiten; keiner ist für den anderen, beide sind für die Wirtschaft da. Gewinner des Bologna-Prozesses sind denn auch nicht die Hochschulen, sondern die Akkreditierungs-Agenturen: akademische Wirtschaftsprüfer, die darüber befinden, ob das Angebot stimmt und die Abrechnung in Ordnung ist. Was da von wem an wen weitergegeben wird, interessiert die Agenturen nicht, Inhalte spielen für sie keine Rolle.

Schon ihr Name wäre Humboldt ein Graus gewesen, ihre Aufgabe erst recht. Daß die Wissenschaft nutzen soll, verstand sich auch für ihn von selbst; nur hatte er von diesem Nutzen anspruchsvollere Vorstellungen als seine Nachfolger von heute, die Rechenknechte in den Agenturen. Er schlug den Bogen weiter und meinte, daß eine von Nützlichkeitserwägungen freie Wissenschaft den Interessen von Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten diene: eine Art Übernützlichkeit, die die Berliner Universität zum Vorbild für alle Welt gemacht hatte, bevor sie den Wissenschaftsverwaltern in die Hände fiel. 

Die Ergebnisse sind danach. Was Wissenschaft ist oder sein sollte, welchen Regeln sie folgen und welchen Anforderungen sie genügen muß, weiß heute niemand mehr zu sagen. Wissenschaft als das, was ein Wissenschaftler so nennt: das ist dann auch schon alles, auf was man sich noch verständigen kann. Die Grenze zwischen Science und Science-fiction ist durchlässig geworden, überflüssige Spielereien kommen mit demselben Aplomb daher wie seriöse Arbeiten oder elaborierter Blödsinn. Man forscht über Horizonte des Vergessens, promoviert über die Geschichte der Curry-Wurst und habilitiert sich über Luther als Frau.

Der Staat solle sich heraushalten, hatte Humboldt verlangt, ohne ihn gehe alles viel besser. Das war eine Kampfansage, die der Staat aufgenommen und zu seinen Gunsten entschieden hat. Er hat die ehemals so selbstbewußten Hochschulen auf den Status einer nachgeordneten Behörde degradiert, die von Autonomie um so lauter redet, je weniger sie davon hat. Mit Nullsemestern, Brückenkursen und wörtlich so genannten Alphabetisierungsprogrammen versucht sie wettzumachen, was die Schule versäumt hatte; daß sie dabei selbst zur Schule verkommen könnte, will sie lieber nicht wahrhaben. Sie hält sich an Bert Brecht und dessen Grundsatz, nicht an das gute Alte anzuknüpfen, sondern an das schlechte Neue. 






Dr. Konrad Adam war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent der Welt. Er ist Mitgründer der Alternative für Deutschland und war bis Juli 2015 einer der drei Bundessprecher der Partei.