© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Kampf ums Überleben
Bundeswehr: Mit ihrem unsensiblen Vorgehen hat sich die Verteidigungsministerin in die Defensive manövriert / Kritik aus der eigenen Partei
Peter Möller

Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich hinter eines ihrer Kabinettsmitglieder stellt, wird es ernst. Mehr als einmal folgte auf die medienwirksame Unterstützung durch die Chefin der unfreiwillige Abgang des Betreffenden. Am vergangenen Wochenende erwischte es nun Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). In ihrer wöchentlichen Videobotschaft ging die Kanzlerin anläßlich des „Tags der Bundeswehr“ auf die aktuelle Diskussion über die Streitkräfte ein. „Natürlich gab es in letzter Zeit Vorfälle, die auch kritikwürdig waren“, sagte Merkel mit Blick auf tatsächliche oder mutmaßliche Vorfälle in der Bundeswehr. Von der Leyen habe „darauf aufmerksam gemacht, daß die Dinge natürlich geklärt werden müssen“. Das Prinzip der Inneren Führung müsse überall durchgesetzt werden.

„Ich fühle mich als Bauernopfer“

Für Ursula von der Leyen dürfte nicht erst seit der Videobotschaft der Kanzlerin klar sein, daß es für sie angesichts der andauernden Diskussion über ihre Amtsführung im Zusammenhang mit mehreren Vorfällen in der Bundeswehr mittlerweile um das politische Überleben geht. Schon jetzt gilt es in Berlin als unwahrscheinlich, daß von der Leyen erneut das Verteidigungsressort übernehmen würde, sollte die Union nach der Bundestagswahl im Herbst erneut die Regierung führen. 

Vor allem mit ihrem unsensiblen Agieren in der Traditionsfrage ist von der Leyen in der Truppe und auch in der Öffentlichkeit auf viel Unverständnis gestoßen. Richtig gefährlich könnte ihr aber der Fall Pfullendorf werden. 

Anfang Februar war ein Ermittlungsbericht der Bundeswehr über sadistische Praktiken bei der Sanitäterschulung am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen im baden-württembergischen Pfullendorf bekanntgeworden. Demnach ließen angeblich Ausbilder in der Staufer-Kaserne unter anderem Soldatinnen an einer Pole-Stange vortanzen und tasteten Frauen im Genitalbereich ab. Zudem war von entwürdigenden Aufnahmeritualen die Rede. Von der Leyen reagierte harsch und sprach mit Blick auf den Fall von „abstoßenden“ und „widerwärtigen“ Vorfällen und von einem Versagen der Inneren Führung. Als Konsequenz setzte sie unter anderem Ende April den Kommandeur des Ausbildungskommandos des Heeres, Generalmajor Walter Spindler, von seinem Posten ab.

In der vergangenen Woche dann die Wende. Die zuständige Staatsanwaltschaft Hechingen teilte mit, daß sie wegen mangelnden Angangsverdachts kein Ermittlungsverfahren einleiten werde. Doch das war nicht alles: Die Staatsanwaltschaft warf  von der Leyens Ministerium vor, den Verteidigungsausschuß des Bundestags in die Irre geführt und dem Gremium „die Sachlage verkürzt dargestellt“ zu haben. Damit seien die Vorfälle in Pfullendorf aufgebauscht worden, lautete die Kritik der Ermittler. Deutlich fiel auch die Reaktion des Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), aus. Die Ministerin habe für einen „unübersehbaren Vertrauensschaden in der ganzen Bundeswehr“ gesorgt, sagte Bartels der Stuttgarter Zeitung. 

Zu einem ungewöhnlichen Schritt entschloß sich die Frau von Generalmajor Spindler. In der Bild-Zeitung erhob sie schwere Vorwürfe gegen die Ministerin. „Frau von der Leyen hat mit der Skandalisierung von Bundeswehrinterna, insbesondere was Pfullendorf betrifft, nicht nur den Soldaten geschadet, sondern auch deren Familien, die dahinter stehen“, sagte Yvonne Spindler. So seien nach dem Pfullendorf-Eklat betroffene Soldatenfrauen in einigen Geschäften der Stadt teilweise nicht mehr bedient worden. Auch der ebenfalls abgesetzte Kommandeur des Standortes Pfullendorf, Oberst Thomas Schmidt, meldete sich zu Wort: „Ich fühle mich als Bauernopfer. Ich habe richtig gehandelt und wurde trotzdem zur Rechenschaft gezogen“, sagte er der Bild-Zeitung.

Angesichts solcher Geschichten verwundert es nicht, daß die Stimmung in der Truppe derzeit als so schlecht wie lange nicht mehr beschrieben wird – manche sagen, wie noch nie. Welche Auswirkungen das Agieren von der Leyens langfristig auf die Bundeswehr haben wird, ist noch nicht absehbar. Doch bereits jetzt zeichnet sich ein Klima des Mißtrauens und der Denunziation ab, wie ein Fall zeigt, über den der Spiegel am Wochenende berichtete. Demnach hat die Bundeswehr Anzeige gegen einen Oberstleutnant des Zentrums für Geoinformationswesen in Euskirchen erstattet, der sich kritisch über die Verteidigungsministerin geäußert und vor Soldaten scherzhaft über einen Putsch gegen von der Leyen gesprochen hatte.

Wie es mittlerweile auch um den Ruf von der Leyens in der eigenen Partei steht, wurde am Sonntag an einem Facebook-Beitrag des Göttinger CDU-Bundestagsabgeordneten Fritz Güntzler deutlich. Er postete das Bild seines 1943 gefallenen Großvaters. In Anspielung auf die von der Verteidigungsministerin angeordnete Säuberung der Bundeswehr von Andenken an die Wehrmacht schrieb Güntzler auf Facebook: „Dieses Bild der Erinnerung steht auf meinem Schreibtisch und wird dort auch weiterhin stehen bleiben. Ein Stück der Erinnerungskultur.“

Offenbar geht die wachsende Kritik nicht spurlos an Ursula von der Leyen vorüber. In der Geschichtspolitik deutete sie am Wochenende zumindest ein Einlenken an. Auf einer Veranstaltung zum „Tag der Bundeswehr“ in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne im nordrhein-westfälischen Augustdorf verkündete, sie, daß die Kaserne aufgrund Rommels Rolle im Widerstand nicht umbenannt werde. 

Kritiker der von der Ministerin angeordneten Säuberung der Bundeswehr von jeglichen Erinnerungen an die Wehrmacht können diese Entscheidung als kleinen Erfolg verbuchen.