© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Das Beben setzt sich fort
Parlamentswahl in Frankreich: Mit dem Wahlsieg seiner neuen Partei weist Ex-Sozialist Emmanuel Macron die Konkurrenz in die Schranken
Friedrich-Thorsten Müller

Das politische Erdbeben, das in Frankreich mit der Präsidentschaftswahl im Mai in Gang gesetzt wurde, findet bei der Wahl zur Nationalversammlung seine Fortsetzung. Die überwiegend aus den vormals regierenden Sozialisten hervorgegangene Mitte-Links-Neugründung „La République en Marche“ hat mit 32,3 Prozent der Stimmen den ersten Wahlgang der Parlamentswahl haushoch gewonnen. Die neue Partei von Präsident Emmanuel Macron kann damit in der Stichwahl am Sonntag nach Hochrechnungen von Kantar Sofres mit 400 bis 440 der 577 Abgeordnetenmandate rechnen. Die Sozialisten, die bisher über 283 Mandate verfügten, besitzen mit 9,5 Prozent der Stimmen lediglich noch Aussicht auf 15 bis 25 Abgeordnete. Selbst ihr Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon schied in seinem Wahlkreis im Departement Yvelines bereits im ersten Wahlgang aus.

Die Konservativen dürften mit 21,6 Prozent und 95 bis 132 Mandaten stärkste Oppositionskraft werden, nach zuvor 199 Mandaten allein für die „Republikaner“. Weit hinter den eigenen Erwartungen blieb auch der Front National zurück mit 13,2 Prozent der Stimmen und der Aussicht  auf zwei bis fünf Abgeordnete. Als Ziel hatte die Vorsitzende Marine Le Pen einmal 60 Sitze ausgegeben. Immerhin geht sie in ihrem Wahlkreis im Departement Pas-de-Calais mit 46 Prozent der Stimmen als haushohe Favoritin in die Stichwahl. Doch für den begehrten Fraktionsstatus, für den es 15 Abgeordnetenmandate braucht, dürfte es dem FN damit auch diesmal nicht reichen.

Ähnlich hinter den Erwartungen blieb das Ergebnis der extremen Linken. Jean-Luc Mélenchons vor der Präsidentenwahl unter dem Namen „La France insoumise“ („das aufsässige Frankreich“) neuformierte Partei kommt zusammen mit der verbliebenen kommunistischen Splitterpartei im ersten Wahlgang auf 13,7 Prozent und damit voraussichtlich auf 13 bis 23 Sitze in der neuen Nationalversammlung. 

Immerhin hat auch Mélenchon mit 34,3 Prozent der Stimmen gute Chancen, in seinem Wahlkreis im Departement Bouches-du-Rhône  in der Stichwahl zu gewinnen. Das ist keine Selbstverständlichkeit bei einer Wahl, in der nur vier Abgeordnete gleich im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichten. Vielen etablierte Größen, wie Jean-Christophe Cambadélis oder Patrick Mennucci, gelang nicht einmal der Einzug in die Stichwahl, während der neugegründeten Formation von Präsident Macron der Durchmarsch gelang.

Auffallend bei diesem ersten Wahlgang zur Nationalversammlung ist eine erschreckend niedrige Wahlbeteiligung von gerade einmal 48,7 Prozent, gegenüber 77,8 Prozent im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl vor sieben Wochen. Vor allem junge Wähler unter 35 blieben zu über 60 Prozent den Wahlurnen fern.

Nach dem Verlust von einem Drittel seiner Wähler im Vergleich zum ersten Wahlgang der Präsidentenwahl, wo der FN noch 21,3 Prozent der Stimmen erreichte, verstärkt sich der Ruf nach einer Neuausrichtung der Partei. Nach seinem eigenen Ausscheiden im ersten Wahlgang forderte Generalsekretär Nicolas Bay eine Diskussion über „Programm und Organisation“ des FN. Dabei kritisierte er, ohne ihn beim Namen zu nennen, den stellvertretenden Vorsitzenden Florian Philippot, der in den vergangenen Wochen weiterhin eine harte Linie beim Thema Euro-Ausstieg vertrat.