© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Klamauk statt Komik
Theater: Herbert Fritschs Bühnenstück „Valentin“ am Hamburger Schauspielhaus
Axel Michael Sallowsky

Die ersten Besucher haben schon nach zwanzig Minuten an diesem Premierenabend die Nase gestrichen voll. Fast schon fluchtartig verlassen sie den Saal, viele weitere folgen ihnen ebenfalls noch während der Vorstellung. Eine solche „Massenflucht“ aus einer Premiere hat der Kritiker lange nicht mehr an einem deutschen Theater erlebt.

Die Uraufführung des Bühnenstücks „Valentin“ am Hamburger Schauspielhaus Ende Mai sollte wohl eine Hommage an Karl Valentin (1882–1948) sein. Aus Texten dieses großen Münchner Schauspielers, Komikers, Musikers und Autors zahlreicher Sketche und Theaterstücke hat Regisseur Herbert Fritsch eine recht wundersame Performance (oder einfach nur Posse) zusammengebastelt, die in einzelnen Szenen zwar durchaus wohlwollend belächelt werden konnte. Aber letztlich war das alberne Treiben auf der Bühne weder Fisch noch Fleisch und stand mehr im Widerspruch als im Einklang mit den tiefgründigen und grantigen Texten eines Karl Valentin.

Die Musiker spielten alles in Grund und Boden 

Ehrlicher wäre es gewesen, das Bühnenspektakel „Fritsch“ zu betiteln, denn es war mehr Herbert Fritsch als Valentin darin. Offensichtlich hat der Regisseur in seiner Wahrnehmung und Deutung der Valentin-Texte diese völlig mißverstanden und deshalb voll auf Klamauk gesetzt.

Von Karl Valentin, in dem seine Zeitgenossen den „deutschen Charlie Chaplin des Wortes“ gesehen haben, und einer Hommage an ihn konnte schon deswegen nicht die Rede sein, weil den ebenso skurrilen wie virtuosen Sprachkünstler vor allem seine scheinbar so verschrobene, von anderen Darstellern kaum zu kopierende Sprache (auch die seines Körpers) auszeichnete. Sie diente diesem großen Mimen dazu, sich mit einfachsten Mitteln (verzögerndes Sprechen, kunstvolles Stottern) dem Lebensalltag und seinen Widerhaken naiv-erstaunt zu nähern und dabei den Irrsinn in der Welt aufzuzeigen. Kunstvoll reflektierte Valentin permanente Mißverständnisse zwischen Menschen, ihr ständiges Aneinandervorbeireden. All das führte in seiner Darstellung jene, die ihm zuhörten und zuschauten (und bisweilen gewiß auch ihn selbst), in eine große Einsamkeit, die wiederum jedwede zwischenmenschliche Kommunikation und Verständigung weiter erschwerte.

Das hätte das Kernstück dieser Inszenierung sein müssen. Aber eben davon war so gut wie nichts zu spüren. Daran war auch, paradoxerweise, die hochkarätige Musik von Michael Wertmüller schuld, die fünfzehn hervorragende Instrumentalisten (Trompeten, Posauen, Saxophone, Orgel, Schlagzeug und Baß) dazu verführte, mit grandiosen Fortissimi alles in Grund und Boden zu spielen und damit die Sprache ins Abseits zu verweisen. Weniger laut wäre mehr gewesen.

Einzig die Darsteller und das ebenfalls von Regisseur Fritsch gestaltete Bühnenbild waren kaum zu bekritteln. In einem bewegten labyrinthischen Farbenmeer agierte ein achtköpfiges Ensemble. Den Schauspielern wurde viel abverlangt: Sie mußten sprechen, stottern, grunzen, tanzen und ihre Gliedmaßen akrobatisch verrenken. Es wäre unfair, auch nur einen aus dieser Truppe hervorheben zu wollen, alle zelebrierten hohe Schauspielkunst.

Daß es dem Oktett dennoch nicht gelang, mehr Valentin und weniger Fritsch ins Spiel zu bringen, lag eindeutig am Regisseur und an dessen abstrusem Konzept. Liesl Karlstadt kam als Rolle zwar vor, doch das so unglaublich skurrile Gespann Valentin/Karlstadt als Vermittler der Valentinschen Botschaft („Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“; „Es ist schon alles gesagt, doch nicht von jedem“), das geriet lediglich zu einer witzlos überzogenen Clownerie.

Das verbliebene Premierenpublikum applaudierte dezent nach dem Motto: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. 

Die nächsten „Valentin“-Aufführungen am Hamburger Schauspielhaus, Kirchenallee 39, finden statt am 17., 21. und 29. Juni. Kartentelefon: 040 / 24 871-3

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