© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

So fern wie der Mond
Vor vierzig Jahren starb der Raketenforscher und US-amerikanische Weltraumpionier Wernher von Braun
Jürgen W. Schmidt

In den USA wird nur noch sehr peripher an den Vater der amerikanischen Raumfahrt Wernher von Braun, seit 1955 US-Staatsbürger, erinnert. Im Museum von Cape Caneveral zeigt man in einer kleinen Vitrine einige Fotos, ohne auf seine Person näher einzugehen. Selbst in seinem früheren Büro weist nur ein einziges Foto auf den Raketenpionier hin. Dabei hatte ihm US-Präsident Eisenhower am 19. April 1957 den „Civilian Service Award“ für seine Leistungen bei der Entwicklung amerikanischer Militärraketen im technologischen Zweikampf mit der Sowjetunion während des Kalten Krieges verliehen. 

Von Braun war 25facher Ehrendoktor angesehener Universitäten, die Bundesrepublik verlieh 1959 dem gebürtigen Deutschen das Große Bundesverdienstkreuz. 1970, unter Bundeskanzler Willy Brandt, folgte die Ehrung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern. 1960 verfilmte man seine Lebensgeschichte in einer amerikanisch-deutschen Koproduktion unter dem Titel „Wernher von Braun: Ich greife nach den Sternen“ mit Curd Jürgens in der Hauptrolle. 

Heute legen dagegen in Deutschland Schulen wie das Wernher-von-Braun-Gymnasium in Friedberg (2013) oder die Wernher-von-Braun-Gesamtschule in Neuhof (2015) seinen Namen ab, und die letzten nach Wernher von Braun benannten Straßen (Memmingen 2014) verlieren gleichfalls ihren Namen. Daran ist nicht allein die Ernennung zum Professor schuld, welche Adolf Hitler 1943 dem Raketenforscher zuerkannte und auch nicht die Auszeichnung mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes, welches der technische Leiter der Versuchsanstalt Peenemünde für die Schaffung jener Flüssigkeitsrakete erhielt, die nach dem Willen Hitlers als V2 das Kriegsglück ändern sollte. 

Zudem kann es auch nicht allein daran liegen, daß der 1,80 Meter große Wernher von Braun am 1. November 1933 in die Reiter-SS eintrat, zu Kriegende den Rang eines SS-Sturmbannführers bekleidete und seit 1937 NSDAP-Mitglied war. Alles dies hatte nämlich bereits ab 1963 der MfS-Offizier und DDR-Historiker Julius Mader in seinem Buch „Das Geheimnis von Huntsville“ dokumentarisch belegt. Nur hatte es in den USA und in der Bundesrepublik kaum jemand berührt, denn die USA benötigten schlichtweg die Fachkenntnisse des weltweit anerkannten Raketenfachmanns, und in Deutschland war man damals stolz auf einen Landsmann, der es in den USA weit gebracht hatte.

US-Amerikaner engagierten den V2-Entwickler sofort

Dabei hätte dem aus schlesischem Uradel stammenden Wernher von Braun eine Beamtenkarriere viel näher als die wissenschaftliche Laufbahn gelegen. Immerhin war sein Vater Magnus von Braun einst preußischer Landrat und zu Zeiten der Weimarer Republik sogar Reichsminister für Landwirtschaft und Ernährung. Der ältere Bruder Sigismund von Braun hingegen brachte es als Diplomat von 1962 bis 1968 zum deutschen Vertreter bei den Vereinten Nationen und war von 1970 bis 1972 Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Außenminister Walter Scheel. 

In der polnischen Stadt Wyrzysk (einst „Wirsitz“ in der Provinz Posen) zeigen Reiseführer heute das vormalige Landratsamt, wo Wernher von Braun am 23. März 1912 zur Welt kam. Durch eine dienstliche Versetzung des Vaters bedingt, wuchs der Junge in Berlin auf, wo seine Schulausbildung am Französischen Gymnasium ausgerechnet an den schlechten Leistungen in den Fächern Mathematik und Physik zu scheitern drohte. Dieser Knoten platzte schließlich, und an der Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog legte von Braun 1930 ein gutes Abitur ab. 

Anschließend studierte er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Technischen Hochschule Berlin, begeisterte sich hier für die aufkommende Raketentechnik und promovierte 1934 mit einer Dissertation „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zum Problem der Flüssigkeitsrakete“ zum Dr. phil. Der Titel seiner Dissertation wurde auf militärischen Wunsch mit „Über Brennversuche“ verschleiert. 

Der Raketenpionier verfügte nämlich schon über sehr enge Beziehungen zur Reichswehr, weil man hier das militärische Potential seiner Forschungen erkannte. Waren die meisten der bislang bekannten und erprobten Raketen Feststoffraketen, welche wie eine Granate eine ballistische Flugbahn beschrieben, so machte Wernher von Braun nachhaltig auf das Leistungspotential von Raketen mit Flüssigtreibstoffen aufmerksam. Diese konnten nicht nur beträchtlich weiter und höher fliegen, sondern ließen sich zusätzlich auf ihrer Flugbahn steuern. 

Wernher von Braun ging in seinem Forscherdrang gern auf die finanzielle und sonstige Förderung durch das Militär ein, hatte doch damals im zivilen Bereich kaum jemand Interesse und niemand die finanziellen Mittel für die Erforschung von Raketen auf Flüssigtreibstoffbasis übrig. So wurde von Braun zuerst wissenschaftlicher Erforscher und später ein begabter technischer Manager für den Raketenbau. Daß der Raketenbau in Deutschland in den letzten Kriegsjahren zunehmend auf Sklavenarbeit von Zwangsarbeitern beruhte und diese hungernd in KZ-ähnlichen Produktionsstätten arbeiteten, interessierte von Braun wenig. Dies interessierte aber auch die USA nicht, welche sich 1945 die Dienste des Raketenforschers von Braun und seiner Mitstreiter im Wissenschaftlerklau der „Action Paperclip“ sicherten. 

Gefeierte Schlüsselfigur der US-Mondmissionen

Es hätte gewiß auch die stalinistische Sowjetunion nicht gekümmert, hätte man nur von Braun zwecks eigener Raketenforschungen in die Finger bekommen. Allerdings begab sich von Braun zielgerichtet in amerikanische Hände. Hier wirkte er ab 1945/46 zuerst als geistiger Kopf amerikanischer Programme zur Schaffung militärischer Raketen, um sich parallel dazu ab 1951 auch um den Beginn der amerikanischen zivilen Raumfahrt zu kümmern. Seine Verdienste um die Saturn-Trägerrakete und um die Durchführung des US-Mondlandeprogramms sind in Fachkreisen heute unbestritten. Selbst auf die Schaffung der späteren „Space Shutt-les“ und die theoretischen Grundlagen eines bemannten Flugs zum Mars hatte er beachtlichen Einfluß. 

Allerdings schied Wernher von Braun 1972 enttäuscht aus der Nasa aus, als die US-Administration unter Präsident Richard Nixon die Budgets für Weltraumfahrt nach den erfolgten Apollo-Mondmissionen übermäßig stark zusammenstrich. Wernher von Braun wechselte in eine Vizepräsidentenposition im Luft- und Raumfahrtkonzern Fairchild über. Er verstarb mit 65 Jahren am 16. Juni 1977 an Krebs in den USA.