© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Hilfloses Plädoyer für die Streitkultur
Political Correctness: Bei der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit will der Deutsche Hochschulverband nur Symptome kurieren
Wolfgang Müller

Der diesjährige Verbandstag des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) fand Anfang April in München zum Thema „Political Correctness vs. Freiheit der Wissenschaft?“ statt. Aus gegebenem Anlaß, wie Andreas L. Paulus leicht entsetzt erläuterte. Der Bundesverfassungsrichter und Göttinger Professor für Völkerrecht, einer der Hauptreferenten, bekannte, daß „wir uns vor kurzem noch kaum hätten vorstellen können oder wollen, wie die Freiheit der Wissenschaft innerhalb und außerhalb Deutschlands Gefährdungen ausgesetzt“ werden könnte.

Als abschreckende Beispiele wies Paulus, ohne konkret von der HU Berlin und betroffenen Kollegen wie dem Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski, dem Politologen Herfried Münkler oder gar dem der AfD angehörenden, im November 2016 während der Vorlesung körperlich angegriffenen Anglisten Markus Egg zu sprechen, auf Vorfälle „in der deutschen Hauptstadt“ hin, wo „Veranstaltungen von Professoren gestört, Räume beschmutzt, Gerichte eingeschaltet“ würden und – nach jahrelangem Schweigen, was Paulus unerwähnt läßt – „die Hochschulleitung“ endlich in einer Presseerklärung „die Universität als Ort des freien und unabhängigen wissenschaftlichen Austausches gegen Gewalt und Extremismus verteidigen mußte“ (Forschung & Lehre, 5/2017).   

Spätestens an diesem Punkt ist für Paulus aber eine Eskalationsstufe erreicht, deren Skizzierung er dem Auditorium auch unter dem Schutz vernebelnder Rhetorik nicht länger zumuten wollte. Stattdessen zeigt der hohe Richter lieber Bedrohungen in Ungarn auf, wo der Staat leider gegen die – vom Großspekulanten und Migrationsideologen George Soros alimentierte – Zentraleuropäische Universität vorgehe. Oder er erwähnt die „staatliche Gängelung“, die Wissenschaftler in den USA bei „Publikationen zum Klimawandel“ zu fürchten hätten. Von da ab schläferte Verfassungsrichter Paulus seine bedauernswerten Zuhörer, die auf einen Aktuelles aufgreifenden Vortrag über „Freiheit der Wissenschaft aus rechtlicher Perspektive“ gehofft hatten, dann gnadenlos mit den Quisquilien der scheppernden Karlsruher Dogmatik zum Hochschulorganisationsrecht ein.

In solches Reden um den heißen Brei mündet letztlich auch das Referat von Bernhard Kempen, Völkerrechter aus Köln und derzeit DHV-Präsident. Er bemerkt zwar ebenfalls eine Beschneidung der Freiheit, die an Deutschlands Hochschulen  nicht primär durch „staatliche Repression“, sondern durch „innere Erosion“ verursacht werde. Doch vermag er nicht zu erklären, wer oder was diese „unmerklich in Gang gesetzten Erosionsprozesse“ denn anschiebt, an deren Ende die „gesellschaftlichen Strukturen und die gesamte staatliche Ordnung zersetzt“ sein würden.

Daß Political Correctness (PC) eine „Chiffre“ für Erosion und Zersetzung sein könnte, dies vermutet Kempen immerhin. Aber deren ethischen Grundimpuls, durch Vermeidung herabwürdigender Begriffe und Wendungen der sprachlichen wie politischen „Diskriminierung schutzwürdiger Minderheiten“ entgegenzuwirken, müsse man anerkennen. Nur verwandelte sich die PC von ihren „legitimen Anfängen“, als sie an US-Hochschulen als Beitrag zum Ausgleich ethnischer Spannungen in der US-Einwanderungsgesellschaft galt, inzwischen in „illegitime Auswüchse“. Unter dem Dach der heute vom kleinsten College bis zur Elite-Universität unumschränkt herrschenden „Diversity“-Ideologie berufe sich eine Unzahl von Gruppen auf ihr jeweiliges Recht, vor „Diskriminierung“ bewahrt zu werden. Dieser zutiefst subjektivistische, irrationale Anspruch lasse sich gegen jede wissenschaftlich begründete Aussage ins Feld führen, indem man sie vorzugsweise als „sexistisch und rassistisch“ denunziert. 

Für Kemper ist diese bizarre Denunziationskultur in Deutschlands Hochschulen „längst angekommen“. Der DHV sei jedoch entschlossen, die Universität als „Ort der offenen Kommunikation“ gegen jene „selbsternannten Tugendwächter“ zu verteidigen, die Sprachregeln diktieren und wissenschaftlich fundierte Auffassungen als politisch inakzeptabel diskreditieren.

Entsprechend fiel auch die auf dem Verbandstag verabschiedete Resolution zur Bewahrung der lebendigen „Debatten- und Streitkultur an Universitäten“ aus. Denk- und Sprechverbote in Forschung und Lehre seien nicht hinnehmbar. Ebensowenig „geistige und ideologische Komfortzonen, in denen Studierende vor unbequemen Inhalten behütet werden“. Ziel wissenschaftlicher Ausbildung müsse weiterhin bleiben, sich in „kritisches Denken“ einzuüben, auch die Fähigkeit zur Selbstkritik zu erwerben und sich mit Vorstellungen auseinanderzusetzen, die dem „persönlichen Weltbild zuwiderlaufen“.

Klingt markig, ist aber in den Wind gesprochen. Denn wie Kempers Referat stellt die Resolution nur vermeintliche „Auswüchse“ der PC, nämlich ihre „latent aggressive“ Instrumentalisierung in Frage. Daß dies vielmehr die beinharte Konsequenz des von Kemper, der sich von einer kollektiv verbindlichen „Werteorientierung“ oder einer „Leitkultur“ distanziert, ausdrücklich bejahten liberalen Credos „Jeder kann tun und lassen, was er will“ ist, wird nicht gesehen. Die PC und der Neoliberalismus, der jeden Menschen als freien Unternehmer seiner selbst definiert, finden hier zueinander. Die ethnischen, historischen und kulturellen Voraussetzungen, auf denen nach Ernst-Wolfgang Böckenfördes berühmter Sentenz – die der desorientierte Kemper in grotesker Verkennung ihres Sinns für sich reklamiert –  der freiheitliche Verfassungsstaat ruht, ohne sie garantieren zu können, stören aus neoliberaler Sicht nur das „Spiel der Marktkräfte“. 

Destruierung von „weißem Hegemonialdenken“ 

PC und „Diversity“ eignen sich hingegen bestens, um es zu stimulieren. Der Apple-Chef Tim Cook, so merkt der Marxist Slavoj Žižek maliziös an (Die Zeit vom 27. Oktober 2016), unterschreibe daher flink jedes Manifest gegen „Diskriminierung von LGBT-Personen“ oder zur „Abschaffung der Geschlechtersegregation“, wenn solche Gesten nur hülfen, die öffentliche Aufmerksamkeit von Hunderttausenden von Arbeitern abzulenken, die in China unter Sklavenbedingungen Apple-Computer montieren. Wie so oft seien Großunternehmen also stolz vereint mit der politisch korrekten Theorie.

Pikanterweise ist der DHV-Resolution unter der Überschrift „Political Correctness gefährdet nicht die Wissenschaftsfreiheit“ eine Stellungnahme der auf „postkoloniale Studien“ spezialisierten Anglistinnen Kerstin Knopf (Bremen) und Katja Sarkowsky (Münster) vorgeschaltet. Ganz im Sinne Tim Cooks plädieren sie dafür, „unverrückbare Wahrheiten“ im Interesse „marginalisierter Sprechpositionen“ von Minderheiten weiter zu destruieren und „weißes Hegemonialdenken“ zu unterminieren. 

Daß sie diesem „weißen Hegemonialdenken“ ihre gesamte Existenz samt Forschungsfreiheit verdanken, kommt den Damen sowenig in den Sinn wie Kemper erkennt, daß ein freiheitlicher Verfassungsstaat ohne Rekurs auf nicht verhandelbare, in einer Nationalkultur verankerte Werte der marktradikalen Globalisierungsideologie von Konzernchefs und PC-Aktivisten rein gar nichts entgegenzusetzen hat.

 www.forschung-und-lehre.de

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