© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Knapp daneben
Deutschland schaut auf Wuppertal
Karl Heinzen

Zu den finanzschwachen Kommunen zu zählen, ist in Nordrhein-Westfalen kein Makel. Der Strukturwandel vom schwerindustriell geprägten Wirtschaftszentrum hin zu einer wodurch auch immer ermöglichten Prosperität der Zukunft dauert eben mitunter etwas länger, und manchmal sollte man halt einfach akzeptieren, daß der Weg bereits das Ziel ist. 

Auch die Einwohner Wuppertals haben daher keine Veranlassung, sich zu schämen. Sie fragen sich aber vielleicht dennoch, warum alles so ist, wie es ist. Die von der Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt betriebene Netzseite „buergerbudget.wuppertal“ antwortet darauf mit einer Gegenfrage: „Wußtest du, daß hinter den Zahlen eines Haushaltsplans ganz viel Politik steckt?“ Nein, werden sich ganz viele sagen, das ist wirklich ein ganz neuer Gesichtspunkt. 

Die Bürger wollen überhaupt nur einmal das Gefühl haben, daß ihre Meinung gefragt ist.

Aber die Stabsstelle hat noch mehr Aufgaben, als politische Philosophie zu betreiben. Sie verwaltet 150.000 Euro, die durch das EU-Projekt „Empatia“ und Sponsoren zusammengekommen sind. Die Bürger durften nicht nur Vorschläge einbringen, wie man das Geld ausgeben sollte. Jetzt sind sie sogar dabei, in einem mehrstufigen Verfahren zu entscheiden, welche Vorhaben den Zuschlag erhalten. Die Qual der Wahl ist groß, da merkt man als Bürger so richtig, wie Parlamentarier bei der Haushaltsberatung ins Schwitzen kommen. Soll vielleicht das Seniorentanztheater Claudio li Mura eine Hommage an Wuppertal performen? Oder wäre es sinnvoller, lieber erst einen Hundespielplatz für die Stadt in Angriff zu nehmen? Man könnte aber, so ein Vorschlag, das Geld auch in die Stabsstelle stecken und durch eine Vollzeitkraft für noch mehr Bürgerbeteiligung sorgen!

Deutschland schaut auf diese Stadt. In Wuppertal könnte sich die Zukunft der direkten Demokratie entscheiden. Eines wissen wir dank der großen Resonanz des „Bürgerbudgets“ aber bereits jetzt: Es kommt gar nicht so sehr darauf an, wie wichtig die Themen und wie hoch die Etats sind, über die Bürger abstimmen. Sie wollen überhaupt nur einmal das Gefühl haben, daß ihre Meinung gefragt ist.