© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Der Flaneur
Idylle am Fluß
Paul Leonhard

Morgens um zehn gibt es noch keinen Kaffee im Biergarten. Auch kein Bier. Es ist noch alles verschlossen. Zumindest auf dieser Seite der Elbe. Von der anderen locken zwei andere Freiluftkneipen im lauschigen Grün, aber ihren Durst stillende Menschen kann ich nicht erkennen. Die beiden Radfahrer in ihren kurzen Hosen, die von Meißen heraufkommen, sind sichtlich enttäuscht. Mit drei anderen Radtouristen, die flußabwärts unterwegs sind, tauschen sie sich über ihre Erlebnisse aus.

Die Schwäne ignorieren das Geschrei und fahren fort, ihr Gefieder zu putzen.

Ich hocke mich auf die Granitstufen und schaue auf den Fluß. Lautstark empören sich die graubraunen Gänse am Ufer. Ich kann nichts Störendes entdecken. Oder bin ich gemeint? Die Schwäne ignorieren das Geschrei und fahren fort, ihr Gefieder zu putzen. Oder schnappen nach Semmelresten, die eine junge Frau mit ihrem Sprößling ins Wasser bröselt.Die Hackordnung im Vogelreich ist klar, denn in sicherem Abstand um die majestätischen Vögel haben sich Tauben und Möwen niedergelassen und lauern auf Krümel. Die Gänse kümmern sich nicht um die Fütterung. Sie sind mit ihren eigenen Revierkämpfen beschäftigt.

Ein weißes Motorboot dümpelt flußab. Die Deutschlandfahne hängt schlaff. Auf der anderen Flußseite führt eine Tagesmutter ein halbes Dutzend Dreikäsehochs spazieren. Zwei Angler werfen ihre Ruten aus und starren ins Wasser. Zwei Dutzend Rentner beobachten von ihren Bänken an der Uferpromenade schweigend das Geschehen. Ein Dampfer schiebt sich schnaufend heran, dreht bei. Die Frau, die gerade noch mit ihren beiden Enkeln Steine in den Fluß geworfen hat, ist zurückgetreten und winkt die Kinder zu sich. Sie weiß, das Schiff wird Wellen machen. Die Kleinen sind beeindruckt.

Die Fahrradfahrer hocken sich auf ihre Sättel. „Wenn wir noch lange stehen, kommen wir ins Schwitzen.“ Bis auf die böhmische Seite des Elbsandsteingebirges soll es heute gehen. Man wünscht sich eine gute Reise.