© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Es läuft auch ohne Western Union
Geldtransfer: Über 200 Millionen Migranten unterstützen weltweit 800 Millionen Angehörige in ihrer Heimat
Christian Schreiber

Geht es um den Zahlungsverkehr von rechtschaffenen Bürgern, agieren Bundesregierung und EU frei nach Lenin: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Und angesichts von wachsender Terrorgefahr und Steuerhinterziehung lassen sich Identifizierungspflichten, Bankdatenabruf oder Bargeldverbote problemlos parlamentarisch durchsetzen. Auch digitale Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum oder Ripple sind längst im Visier des Fiskus.

Selbstverständlich wird auch der Transfer durch den traditionellen US-Finanzdienstleister Western Union, der vor allem von Arbeitsmigranten genutzt wird, um Geld an Angehörige in der Heimat zu schicken, überwacht. Daher gewinnt das muslimische Zahlungssystem Hawala an Bedeutung, denn es hinterläßt keine elektronischen Spuren. Doch das verstößt gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) – doch wo kein Kläger, da kein Richter. Und: Geld billig an darbende Verwandte zu schicken ist nur eine mögliche Anwendung.

Kaum Strafverfolgung im illegalen Bankensektor

Das Hawala-System werde „vornehmlich von arabischen Täterkreisen auch im Bereich von Drogengeschäften genutzt, findet aber auch im Rahmen organisierter Schleuserkriminalität Anwendung“, heißt es in einer Antwort der Berliner Senatsverwaltung für Justiz auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Luthe. Zwischen 2012 und 2016 habe es nur 51 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das ZAG gegeben. 18 Verfahren seien eingestellt worden, achtmal gab es Geldstrafen. Näheres sei aber nicht bekannt, da es keine statistischen Erhebungen gebe.

„Während im legalen Bankensektor der Staat selbst mit illegal beschafften Daten Steuer- und Geldwäschedelikte verfolgt, bleibt der illegale Bankensektor in Berlin durch Strafverfolgung praktisch unbehelligt“, empörte sich Luthe. Dabei sind die Geldtransfers von Migranten in ihre Herkunftsländer weltweit enorm gestiegen. Dies geht aus einer Studie der UN-Agentur International Fund for Agricultural Development (Ifad) hervor. Über 200 Millionen Migranten unterstützen weltweit schätzungsweise 800 Millionen Angehörige. Volkswirtschaftlich sei dies „ein relevanter Faktor“, „nicht zu unterschätzen“ und „manches Mal sicher effizienter als Entwicklungshilfe“, schreiben die Autoren.

Für dieses Jahr wird prognostiziert, daß einer von sieben Menschen weltweit Sender oder Empfänger von Heimatüberweisungen ist. Seit 2007 ist die Höhe dieser Transferleistungen um 51 Prozent auf über 450 Milliarden Dollar angestiegen. Der Gesamtverdienst von arbeitenden Migranten wird laut Ifad auf drei Billionen Dollar pro Jahr geschätzt, von denen etwa 85 Prozent in den Gastländern bleiben. Etwa 63 Milliarden Dollar flossen aber nach Indien, 61 Milliarden nach China und 20 Milliarden nach Pakistan.

Rund die Hälfte der Gesamtsumme stammt von zehn Ländern: aus Saudi-Arabien, den Emiraten (VAE), Kuwait, Katar, den USA, Rußland, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Nach Einschätzung von Weltbank-Experten werden die Geldströme angesichts der aktuellen Völkerwanderungen weiter zunehmen, auch aus Deutschland heraus. Laut Daten des Zahlungsdienstleisters Moneygram haben sich die Überweisungen von Deutschland nach Albanien im den vergangenen beiden Jahren mehr als verdoppelt. Auch das Kosovo, Afghanistan und Nigeria verzeichneten zweistellige Zuwächse. Nennenswerte offizielle Geldflüsse nach Syrien seien dagegen derzeit noch nicht festzustellen – wieviel über Hawala läuft, wissen weder Moneygram noch Ifad.

Überweisungskosten von 30 Milliarden Dollar

Ein Drittel der Gelder aus den EU-Ländern geht in andere EU-Länder, der Rest ins nichteuropäische Ausland, meist in Entwicklungsländer. „Die kleinen Beträge von 200 oder 300 Dollar, die jeder Migrant nach Hause schickt, stellen dort etwa 60 Prozent des Familieneinkommens dar“, erklärte Ifad-Chef Gilbert Houngbo. Für Hawala sprechen auch ganz profane Gründe: Für offizielle Transfers fallen Überweisungskosten von jährlich 30 Milliarden Dollar an.
Marktführer Western Union wirbt damit, Geld innerhalb weniger Minuten zu transferieren, denn in der Filiale am Zielort wird die Summe vorgestreckt. Der 1851 gegründete US-Dienstleister hat weltweit etwa eine halbe Million Filialen und einen Umsatz von fünf bis sechs Milliarden Dollar. Ein 4.000-Euro-Transfer von Deutschland nach Vietnam kostet 159,50 Euro, also vier Prozent Gebühr – ein gigantisches Geschäft.

Die Wirtschaftsorganisation OECD erklärt sich den Anstieg der Transferleistungen so: „Einerseits ist die Zahl der Migranten in den vergangenen Jahren gewachsen und damit auch die Zahl derer, die potentiell Geld zurück in ihre Ursprungsländer überweisen können.“ Zudem würden mehr Geldflüsse statistisch erfaßt, „weil illegale, informelle Kanäle bekämpft werden“, sagte ein OECD-Sprecher dem Spiegel.

Die Bundesregierung lobt die Spendenbereitschaft, mahnt aber an, daß diese die Entwicklungshilfe nicht ersetzen könne. „Es sei nötiger denn je, daß in Ausbildung und Infrastruktur investiert werde“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Nach Angaben des Entwicklungsministeriums fließen aus privaten Haushalten in Deutschland jährlich offiziell 1,2 Milliarden Euro nach Afrika. Die Transfers stammten in aller Regel von Menschen, die eher Geringverdiener seien. Die deutsche Entwicklungshilfe für Afrika betrage 1,5 Milliarden Euro.

Eine ähnliche Entwicklung gebe es bezüglich des Balkans. Im Zuge der EU-Osterweiterung bzw. Visafreiheit ist es für die dortige Bevölkerung leicht, nach Deutschland einzureisen. Das Monatseinkommen in Serbien oder Mazedonien betrage nur 400 Euro. Die Milliarden-Überweisungen der Gastarbeiter haben aber eine Schattenseite: Landflucht und Überalterung. Und jeder bei uns herzlich willkommene Arzt von dort fehlt in den ohnehin maroden Gesundheitssystemen der Auswanderungsländer.



Das gesetzeswidrige Hawala-System

Für einen offiziellen Geldtransfer ist in Deutschland eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) notwendig. Das jahrhundertealte muslimische Zahlungssystem Hawala, das ohne Genehmigung, Formular, Geldautomat oder Bankschalter funktioniert und nur auf Vertrauen sowie absoluter Verschwiegenheit aller Beteiligten basiert, ist daher in Deutschland verboten. Grundsätzlich funktioniert das System so: A, in Deutschland lebend, möchte an B in Pakistan Geld überweisen. Er geht zu einem Kaufmann C, der mit dem Kaufmann D in Pakistan in Handelsbeziehung steht und übergibt ihm 10.000 Euro, die für B bestimmt sind. C kommuniziert mit D, der B die Summe – gegen Nennung eines Codewortes – auszahlt. Der Zahlungsausgleich zwischen den Kaufleuten C und D wird dann im Zuge eines späteren Geschäftes vorgenommen. Da Muslimen die Zinsnahme verboten ist, spielt die mit der Zahlung verbundene Fristenverschiebung keine Rolle, es wird lediglich eine Gebühr, die sich auf 0,5 bis 1,25 Prozent der Transfersumme beläuft, als übliches Substitut fällig.



Ifad-Studie „Sending Money Home – Contributing to the SDGs, one family at a time“: www.ifad.org/de/newsroom/press_release/tags/p34/y2017/44191916